: Arbeitslose zweiter Klasse
■ Bundesrat beschließt, Verwandte von Arbeitslosen wieder zur Kasse zu bitten
Jahrelang dauerte die entwürdigende Prozedur: Um in den „Genuß“ der spärlichen Arbeitsarbeitlosenhilfe zu kommen, mußten Arbeitslose ihre „Bedürftigkeit“ nachweisen und das Einkommen der nächsten Verwandten offenlegen. Diejenigen, die zu diesem demütigenden, Verfahren nicht bereit waren, hatten in den Augen der Bonner Arbeitslosenverwalter selber schuld: Wenn sie nicht schon von selber auf die Arbeitslosenhilfe verzichteten, mußten sie zumindest eine Kürzung ihrer Gelder um den vermeintlichen Unterhalt der Verwandten in Kauf nehmen. Das war zwar nicht schön und auch nicht gerecht, aber äußerst billig.
Über Jahre hinweg hat die chronisch bankrotte Bundsanstalt für Arbeit mit dieser Regelung kräftig Geld gespart, bis einige Arbeitslose vor Gericht zogen und das Bundessozialgericht diese Praxis für rechtswidrig erklärte.
Doch anstatt aus dem Richterspruch die Konsequenzen zu ziehen und die jahrelange unsoziale Praxis endlich zu beenden, haben die Bonner Politiker beschlossen: Alles bleibt beim alten, nur das Unrecht von gestern soll ab sofort Recht heißen. Ganz nebenbei haben die wohl niemals arbeitslosen Herren in Bonn damit zwei Klassen von Arbeitslose geschaffen: Diejenigen nämlich die etwas wohlhabendere Eltern haben, müssen in Zukunft zu jedweder Arbeit an jedwedem Ort bereit sein, wenn sie ihren Anspruch auf Arbeitslosenhilfe nicht verwirken wollen. Für die anderen gilt weiterhin die Zumutsbarkeitsanordnung, die vor unqualifizierten, weit unterbezahlten Jobs schützt. Verfassungsrechtlich haltbar dürfte dieses neue Zweiklassenrecht kaum sein. Nur: prozessieren werden nur wenigsten Arbeitslosen. Das Gros der Betroffenen und gerade die Schwächsten unter ihnen werden zähneknirschend jede erdenkliche Arbeit annehmen oder aber zum Sozialamt weiterwandern. Und bis irgendwann das Bundesverfassungsgericht auch das neue Gesetz kippt, dauert es Jahre - Jahre, in denen man Millionen gespart hat auf Kosten der Arbeitslosen.
Vera Gaserow
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