: Augsburg - „die Hauptstadt der Bewegung“?
In der Fuggerstadt wählten bei den Europawahlen 19,6 Prozent die „Republikaner“ / Nach dem Schönhuber-Erfolg herrscht Ratlosigkeit / Augsburg ist mehr Provinz als Metropole / Bestimmen drei A das Wählerverhalten? ■ Aus Augsburg Luitgard Koch
Vor dem Trachtenmodengeschäft Glöckl sitzt eine dunkelhaarige Frau mit ihrem Baby im Arm auf dem Pflaster. „Sie müssen Arbeit suchen“, beugt sich eine grauhaarige Frau zu ihr hinunter und schmeißt ihr ein paar Groschen in den Karton. Ein Windstoß bläst das Pappschild der jungen Sintifrau fort. Es landet unter den weißen Sonnenschirmen mit aufgedrucktem roten Hummer am Eingang des Feinkostladens Kahn. Ein türkischer Straßenkehrer will es wegfegen. Sauber soll es sein vor den Renaissancefassaden der Schwabenmetropole Augsburg.
„Welche der rechtsradikalen Parteien halten sie für die Gefährlichste?“ will die 17jährige Gymnasiastin Sonja Ziegelmeier von mir wissen. Die Schülerin aus dem Maria-Ward -Mädchen-Gymnasium macht zusammen mit ihrer Freundin eine Umfrage in der Augsburger Fußgängerzone. Die „Republikaner“ sind bereits die Nummer eins auf ihrer Strichliste. Ein Zufall? 19,6 Prozent holten sich die Reps bei den Europawahlen in der ehemaligen Fuggerstadt. Mit diesem Ergebnis liegt die mit rund 250.000 Einwohner drittgrößte bayerische Großstadt an der Spitze. Schon schreibt eine Augsburger Boulevardzeitung von der „eigentlichen Hauptstadt der Bewegung“. Nach einer ersten Analyse wählten 19,6 Prozent der jungen Männer zwischen 18 und 24 die Schönhuber -Partei - und der Anteil der männlichen Jungwähler ist auch bei den DVU sehr hoch. „Entsetzen gab's bei uns schon, aber nebenan in der Jungenschule, da sind schon viele begeistert“, so die junge Gymnasiastin. Ihr höchstes Stimmergebnis, 27,4 Prozent, heimsten die Reps jedoch bei den älteren Männern um die 60 ein. „Die Rentner ham von der Umverteilung gar nix mitkriagt, de sand ausgrutscht“, schimpft ein 65jähriger. Für den ehemaligen Verwaltungsangestellten ist die Sache klar. Ursache für das gute Abschneiden der „Republikaner“ sei Stoltenbergs ungerechte Steuerreform und die umstrittene Gesundheitsreform Blüms. Die Geschichte mit den Ausländern rangiere erst an zweiter Stelle. „Die Politiker san alle Zigeuner, des könnas ruhig schreibn“, ereifern sich wenige Meter weiter zwei 60jährige Augsburger. Wie sie bei den Europawahlen abgestimmt haben, wollen sie jedoch nicht verraten. „Mir privatisiern, weil sonst kriagn sowieso bloß die Asylanten unsa Geld“, schimpfen die beiden im Weitergehen auf die Frage nach ihrem Beruf. In der Hindenburgkaserne befindet sich Augsburgs Sammelunterkunft für 800 Asylbewerber. Dort im südlichen Westend wählten 22 Prozent „Republikaner“.
Auf der Suche nach
der Führerfigur
Im Treppenhaus des Rathauses arbeiten Handwerker geschäftig an der Renovierung. Im Rathaussaal ließen sich vor kurzem noch die sechs örtlichen Republikanerfunktionäre in Siegerpose für ein glanzvolles Foto in der Zeitung ablichten. Oberbürgermeister, Jochen Breuer (SPD) ist krank. Ein Stockwerk tiefer sitzt Augsburgs dritter Bürgermeister Artur Fergg (SPD) hinter seinem Schreibtisch. „Wir haben prozentual und absolut mehr Asylanten als jede andere Großstadt“, betont der 54jährige im grauen Anzug. Für ihn gaben „die drei großen As - Ausländer, Aussiedler und Asylanten“ den Ausschlag für den Rechtsruck. Der ehemalige IG-Metaller ist ratlos und hat keine „rationale Erklärung“ für das Phänomen. 30.000 Ausländer leben in Augsburg. Keine außergewöhnlich hohe Zahl, so Fergg. Trotzdem: an den Volksschulen liegt der Anteil der Ausländerkinder bei 30 Prozent. An manchen Schulen wie im Stadtteil Oberhausen sind die Ausländerkinder in der Mehrheit.
Für den OB-Kandidat der „Schwarzen“, Peter Menacher, ist die eigene Kommunalpolitik oder etwa die spezielle politische Landschaft in Augsburg ohne Einfluß auf das Wählerverhalten. Doch gerade hier könnte eine der Ursachen liegen. Obwohl die SPD seit jeher bei den Kommunalwahlen vorn liegt und SPD-Oberbürgermeister Breuer zuletzt 54 bis 56 Prozent der Stimmen für sich verbuchen konnte, ist sie im Stadtrat auf die CSU angewiesen. Deshalb existiert eine interfraktionelle Absprache zwischen den beiden großen Parteien. Der Eindruck, daß deshalb Wählen zur Farce wird, kann so leicht entstehen.
Frust über die Parteienverfilzung war für den 42jährigen Leiter einer Versicherungsfiliale und heutigen Rep -Bezirkschef, Siegfried Winkler, der Grund aus der CSU aus und bei den REPs einzusteigen. Die Augsburger CSU ist ganz im Gegensatz zum CSU-Image kein monolithischer schwarzer CSU -Block. Seit Anfang der 80er kriselt es dort gewaltig. Es kam zur Abspaltung - der Christsozialen Mitte (CSM). Freilich hat man sich für die kommenden Kommunalwahl wieder zusammengerauft und tritt mit einer gemeinsamen Liste an. Gänzlich ausgeschert ist nur einer: Herrmann Knipfer. Der Lokomotivführer war einer der wichtigsten Mitbegründer der CSU-Dissidenten. Abweichler Knipfer gründete jetzt die Augsburger Bürgerunion (ABU). Bei den Kommunalwahlen wird er als Spitzenkandidat auf einer gemeinsamen Liste mit den freien Wählern antreten.
Provinz im Schatten
der Landesmetropole
Die Situation für den Wähler wird also keineswegs übersichtlicher. Hinzu kommt, daß die Integrationsfigur Breuer nicht mehr antreten wird. Aus alldem den Schluß zu ziehen, daß „die Leute hinter der Führerfigur Schönhuber Geborgenheit suchen“, wie es der Augsburger grüne Landtagsabgeordnete, Reinhold Kamm, getan hat, ist deshalb nicht so abwegig.
3.000 Wohnungslose gibt es in Augsburg. Mit einer Arbeitslosenquote zwischen 5,5 bis 6 Prozent gehört die Stadt nach Stuttgart und München zu den deutschen Großstädten mit der niedrigsten Arbeitslosenquote. Dennoch: Die Zweidrittelgesellschaft macht auch vor dem Augsburger Frauentor nicht halt. Ein Strukturwandel hat sich in den vergangenen Jahren vollzogen. Aus der Stadt der Textilindustrie und des klassischen Maschinenbaus wurde immer mehr ein Miniatur „Silicon-Valley“. Von den ehemals 25.600 Beschäftigten in der Textilindustrie arbeiten jetzt nur noch 7.300 in diesem Industriezweig. Und nicht jeder der Arbeiter fand den „sauberen Arbeitsplatz“ in der Hightechbranche. Doch warum Augsburg vier Prozent mehr Rep -Wähler hat als das eigentliche weißblaue Silicon-Valley München ist damit noch nicht hinreichend erklärt. Aber ist Augsburg überhaupt Großstadt?
Politik wird an der Isar gemacht, auch wenn in Augsburg der Regierungssitz Schwabens ist. Seit 1934 die Augsburger Börse geschlossen wurde, erinnert nur noch wenig an das einstige Finanzzentrum Europas. Auch daß Rudolf Diesels Motor bei M.A.N entwickelt wurde ist schon hundert Jahre her und Willy Messerschmitts erster Düsenjäger steht längst im Museum. Ganz zu schweigen vom ungeliebten Sohn der Stadt, Bert Brecht, mit dem man sich nie so ganz aussöhnen mochte.
„Das geistige Milieu hier ist doch Provinz und Asylanten passen einfach ned ins saubere Städtle“, meint ein junger Taxifahrer. „Da habns einen Brunnen der Jugend gemacht und jetzt würden sie ihn am liebsten wieder wegsprengen“, schmunzelt er. Grund: dort trifft sich das „Gschwerl“, leicht angepunkte Jugendliche mit schwarzen Lederjacken. Um das „nichtsnutzige Herumsitzen“ zu verhindern, wurden bereits einige Brunnen eingezäunt. „Ich hab Schönhuber gewählt und wähl ihn auch bei den Kommunalwahlen“, erklärt sein 60jähriger Taxifahrerkollege. „Ich find seine Anschauung, daß wir zuerst an Deutschland denken müssen richtig.
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