: „Die Verbiegung des französischen Rechts“
Jup Weber, Cattenom-Kläger und Abgeordneter der Grünen im Luxemburger Parlament, über die Folgen des Urteils des Conseil d'etat / „Ein sofortiger Baustopp müßte die Folge sein“ / Protestnote an Premierminister Rocard ■ I N T E R V I E W
taz: Der französische Gerichtshof hat die Genehmigungspraxis beim Atomkraftwerk in Cattenom für rechtswidrig erklärt. Ist damit der Bau der noch nicht fertiggestellten BlöckeIII und IV vorerst gestoppt?
Jup Weber: Das Urteil des Conseil d'etat betrifft das gesamte Atomkraftwerk mit allen vier Blöcken. Er hat das Urteil des Verwaltungsgerichts von Straßburg voll und ganz bestätigt. Und danach sind zunächst die Genehmigungen für BlockIII und IV null und nichtig, weil diese Blöcke mit einer Kapazität von 1300 Megawatt gebaut wurden, obwohl nur 900 Megawatt beantragt waren. Aus meiner Sicht müßte ein sofortiger Baustopp die Folge dieses Urteils sein. Das haben wir in einer Protestnote an Premierminister Rocard jetzt auch gefordert.
Die französische Regierung, so heißt es, ist nicht an das Urteil gebunden, wenn nationale Interessen berührt sind.
Das ist eine sehr saloppe Interpretation. Wenn dieses Urteil nicht respektiert wird, dann ist dies eine Verbiegung des französischen Rechtssystems. Es wäre eine ähnliche Verbiegung, wie wir sie von den BlöckenI und II kennen: Der Europäische Gerichtshof hatte ja bereits entschieden, daß bei diesen beiden Blöcken Frankreich den Euratom-Vertrag verletzt hat, weil es seine Informationspflichten gegenüber der Brüsseler Kommission nicht erfüllt hat. Dies blieb ohne Konsequenzen. Damals wurden die Genehmigungen zwar zurückgezogen, aber nach einer kurzen Schonfrist wurden dieselben Genehmigungen wieder ausgestellt. Offenbar will man jetzt bei den BlöckenIII und IV genauso vorgehen. Das ist eine Vergewaltigung des Rechts.
Dann rechnen Sie also nicht mit einem Baustopp?
Nach den ersten Äußerungen der Betreiberfirma EDF werden sie mit allen schmutzigen Tricks versuchen, den Baustopp und eine völlige Neuauflage des Genehmigungsverfahrens zu umgehen. Vermutlich werden sie nur einige Genehmigungsanträge nachreichen und basta.
Hat denn das Gericht selbst einen Baustopp nahegelegt?
Mir wurde das Urteil noch nicht zugestellt. Wir wissen bisher nur, daß das Urteil des Verwaltungsgerichts in Straßburg voll bestätigt und der Einspruch des französischen Industrieministers abgewiesen wurde. Das Straßburger Urteil sagt ganz klar, daß wegen der Kapazitätsüberschreitung alle Genehmigungen über radioaktive Emissionen bei BlockIII und IV ungültig sind.
Sie haben seit Jahren geklagt und jetzt in den entscheidenden Punkten Recht bekommen. Trotzdem passiert nichts?
Wir haben Recht gekriegt, und es ist ein Skandal, daß ein Staat sein Rechtssystem so verbiegt, daß er nur seinen industriellen und wirtschaftlichen Interessen Rechnung trägt. Das ist einem Staat, der jetzt mit viel Pomp 200Jahre Revolution feiert, in keiner Weise würdig.
Was können Sie jetzt noch unternehmen? Werden Sie weiterklagen?
Wir werden weiter gegen alle Genehmigungen klagen. In Luxemburg klagen etwa 80 Privatpersonen, es klagen alle großen Umweltorganisationen, außerdem 56 Städte und Gemeinden gemeinsam mit französischen und bundesdeutschen UmweltschützerInnen. Wir werden nicht aufgeben.
Interview: Manfred Kriener
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