: Seltsam dünn
■ Zum Revolutionsstück „Ca ira!“ der Theaterwerkstatt Hannover
Für was muß sie nicht alles herhalten, die Revolution der Revolutionen, die große, die schreckliche, die französische, im zweihundertsten Jahr. Das offizielle Frankreich nutzt sie weidlich, um vor allem ihre napoleonischen Ergebnisse abzufeiern, Citroen versucht sich mit dem entschlossenen Sponsoring des Münchener Danton-Spektakels endgültig seines Enten-Images zu entledigen, und sogar die Grünen griffen tief in ihre Wittgenstein-gestreßte Kasse und halfen dem Mossmann-Opus Hyänen voila! auf die Bretter, das seit einigen Wochen mit Revolutionsromantik passable Kritiken einfährt.
Vor dem Hintergrund dieses Jubel-Trubels, den mit unserer heutigen Situation nur die beliebige Konvention des Dezimalsystems verbindet, waren die Erwartungen an die Theaterwerkstatt Hannover hoch gesteckt: Mit der Eigenproduktion Ca ira! sollte nichts weniger als die Aktualität von - nicht nur dieser - Revolution auf die Bühne gebracht werden. In dem Bewußtsein, daß dieses Reizwort heute eher Stalin, Pol Pot oder Khomeini assoziieren läßt, eher die Guillotine als die Menschenrechte.
Auf der Bühne agieren ein paar Sansculotten, ein paar kleine Leute aus dem „Vierten Stand“, die zuerst über Brot -Spekulanten sauer sind und plötzlich, ohne recht zu wissen, was sie tun, dieses ganze verrottete Frankreich, dieses übelriechende Europa auf ihre Schultern heben und in die Zukunft schleudern. Doch das bleibt seltsam dünn, geschwätzig, aus Papier, das bleibt Schulfunk - trotz schöner Augenblicke. Da schreien drei, vier einsame Leute „Revolution!“ und „Zur Bastille!“ und fuchteln mit Gewehren, doch das notwendig Pathetische eines Augenblicks, der jeden Widerspruch vergessen läßt außer dem einen, bewegenden - das kommt nicht und kann deswegen weder nachvollzogen noch gebrochen und hintefragt werden.
Bliebe es dabei, das Untenehmen wäre peinlich gescheitert. Doch - wie von einer seltsamen Maschine auf die Bühne geworfen - stehen da auch zwei andere kleine Leute: seltsam abstrakte Figuren, mittendrin und dennoch wie vor einer alten Kino-Leinwand. Zwei von heute, mit heutigen Fragen, Ängsten, Einwänden, stolpern durch dieses verrückte Paris, zwei Beckett-Figuren, die auch Laurel & Hardy heißen könnten. Paradox, daß gerade diese beiden, denen nur die Namen „Eins“ und „Zwei“ zugebilligt wurden, zu den lebendigsten, konkretesten Figuren geraten. Sie konzentrieren die Ereignisse, raffinieren aus ihnen den Witz. Und ermutigen zu einer Revolution, die sich ihrer Risiken und Voraussetzungen bewußt ist - keine schlechte Moral.
Doch die Einschränkungen bleiben bestehen: Ca ira! hinterläßt das Bild eines teils delikaten, teils faden Breis, an dem vielleicht zu viele Köche gerüht haben: Gemessen an den Maßstäben einer freien Gruppe, ist Ca ira! eine Mammutproduktion. In einem Arbeitskreis von Theatermachern und Wissenschaftlern wurden zuerst Vorgaben erarbeitet, die den beiden Autoren Wolfram Hänel und Ingrid Hentschel als Grundlage dienten. Pit Hailer aus Berlin führt Regie, neben ihm Heinz Schlage von der Schauspielschule Hannover. Monika Krohn entwickelte die Sprechtechnik, und das Bewegungstraining übernahm - nach einem intensiven Austausch mit sowjetischen Theaterleuten - Andrej Droznin von der Moskauer Tschukin-Schule. Die Musik stammt von Bettina Schröder (Hans-a-plast), die auch mit dem Schlagzeug der Revolution den Takt gibt.
Das alles zusammenzubringen ist das eine. Wirklich ein Stück daraus zu machen, war eine jener kalkulierten Überforderungen, die die Theaterwerkstatt Hannover immer wieder gefährdet, aber auch weitergebracht haben.
Klaus Gürtler
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