: Nato-Headquarter von Sowjet-MIG knapp verfehlt
■ Sowjetischer Kampfflieger verirrt sich ohne Piloten bis nach Belgien / 18jähriger Mann bei MIG-Absturz getötet Sowjets wissen von nichts / Pilot verschwunden / Gorbatschow landet in Paris: kein Zusammenhang
Berlin (dpa/afp/taz) - „Wir haben noch nichts gehört“, erklärte gestern nachmittag ein Sprecher des sowjetischen Verteidigungsministeriums der 'dpa‘ und, „wir wissen auch nicht, welche Abteilung möglicherweise informiert ist“. Genauso ahnungslos wie das Verteidigungsministerium reagierten gestern sämtliche sowjetische Stellen, wenn sie um Aufklärung über die führungslose sowjetische Militärmaschine MIG 23 gebeten wurden, die gestern um 09.42 Uhr in bundesdeutschen Luftraum eindrang und schließlich um 10.37 in Südbelgien herunterkrachte.
Nach Darstellung der Nato und des Bundesverteidigungsministeriums, erschien die MIG in einer Flughöhe von 12.000 Metern auf den Radarschirmen der westlichen Militärs. Unmittelbar danach aufgestiegene US -Abfangjäger die von der holländischen Basis in Soesterberg starteten erreichten die MIG 20 Minuten später in der Höhe von Rheine in Nordrheinwestfalen und stellten fest: das Cockpit-Dach fehlte, kein Pilot in der Maschine. Da den Militärs ein Abschuß des „Geschosses“ als zu riskant erschien, wurde die Maschine von den US-Jägern über eine Stunde begleitet, bis die MIG auf grund von Treibstoffmangel 80 km östlich von Brüssel und 40 km vom Nato-Hauptquartier Shape an der belgisch-französischen Grenze abstürzte. Bei dem Aufschlag wurde der 18jährige Belgier Wim De Laere getötet, als die MIG auf das Einfamilienhaus seiner Eltern stürzte.
Vom Piloten der MIG 23 fehlte bis Redaktionsschluß jede Spur. Ein Sprecher der Bundesluftwaffe gab an, die MIG sei in Kolberg an der polnischen Ostseeküste gestartet. Warum der Pilot sich mit seinem Schleudersitz aus dem Flieger hinauskatapultierte und die Maschine mit automatischer Steuerung weiterflog, konnte bis gestern nachmittag ebenfalls nicht geklärt werden. Für einen Fluchtversuch des Piloten sei die Maschine nach Angaben westlicher Militärs viel zu hoch geflogen. In einem solchen Fall hätte der Pilot im Tiefflug die östlichen Radaranlagen unterfliegen müssen.
Widersprechende Angaben gab es auch über den Kurs, den die Maschine im westlichen Luftraum genommen hat. Während ein Luft Fortsetzung auf Seite 2
FORTSETZUNGEN VON SEITE 1
waffensprecher angab, die MIG sei von der BRD aus direkt nach Belgien geflogen, behaupten die Holländer, die Maschine hätte auch ihren Luftraum erreicht und sei dann in einer scharfen Südkurve nach Belgien abgedreht. Man gehe davon aus, daß diese Kursänderung zuvor im Autopiloten des Jagdbombers eingespeichert worden sei.
Nach belgischen Angaben hatte die Maschine konventionelle Munition an Bord, da es beim Aufprall mehrere Explosionen gegeben habe. Atomare Sprengköpfe, die dieser Flugzeugtyp mitführen kann, hatte die MIG angeblich nicht geladen. Das Bundesverteidigungsministerium ging gestern davon aus, daß der Pilot noch über dem Gebiet der DDR mit seinem Schleudersitz ausgestiegen sei. Auf Anfrage der taz wollte die sowjetische Botschaft in Ost-Berlin diese Annahme weder bestätigen noch dementieren. Man sei darüber nicht informiert.
Auch in der Ostberliner Niederlassung der sowjetischen Nachrichtenagentur 'Tass‘ herrschte gestern völlige Desorientierung. Man sei ebenfalls nur über westliche Agenturmeldungen informiert, sagte der dortige Korrespondent gegenüber der taz. „Die Armee hier sagt uns nichts, wir können auch nur 'dpa‘ und 'Reuter‘ lesen.“
Besonders peinlich für die Sowjets ist der zeitliche Zusammenhang zwischen dem Absturz ihrer MIG in Belgien und dem Besuch Gorbatschows in Frankreich. Nur eine Stunde nach Aufschlag des unbemannten Geschosses an der belgisch -französischen Grenze landete Gorbatschow in Paris. Zwischen beiden Ereignissen, so beeilte sich die sowjetische Botschaft in Paris zu erklären, gebe es keinerlei Zusam
menhang. Die MIG23 habe nicht zum Begleitschutz Gorbatschows gehört.
JG
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen