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MIG-Pilot in Polen gesund aufgefunden

■ BRD und Belgien protestieren gegen sowjetische Informationspolitik / Sowjetischer Verteidigungsminister weiß nicht, warum die MIG nicht in Polen abgefangen wurde: „Dazu läßt sich nur schwer etwas sagen“

Berlin (dpa/ap/taz) - Die Bundesregierung und die belgische Regierung haben gestern gegenüber den jeweiligen sowjetischen Botschaftern heftige Kritik an der sowjetischen Informationspolitik geübt. Nach Meinung beider Regierungen hätten die Sowjets am Dienstag genügend Zeit gehabt, sie rechtzeitig über die außer Kontrolle geratene MIG 23 zu informieren, als diese ohne Piloten in den westlichen Luftraum eindrang. Erst am Mittwoch hat sich Verteidigungsminister Dimitri Jasow zu den Hintergründen des Geisterfluges eines unbemannten sowjetischen Kampfbombers über Westeuropa geäußert. Jasow bestätigte Angaben westlicher Militärs, nach denen die MIG 23 am Dienstagmorgen von einem Luftwaffenstützpunkt an der polnischen Ostseeküste gestartet war. Kurz nach dem Start habe der Pilot sich mit seinem Schleudersitz aus der Maschine hinauskatapultiert, da es Schwierigkeiten mit den Triebwerken gegeben habe. Nach Aussage des Piloten, der mit seinem Fallschirm wohlbehalten in Polen gelandet war, haben die Nachbrenner der Triebwerke bereits in einer Höhe von 150 Metern versagt, vermutlich sei die Treibstoffzufuhr unterbrochen gewesen.

Danach entwickelte die MIG jedoch ein erstaunliches Eigenleben. Sie stieg auf eine Flughöhe von 12.000 Metern und flog noch über 900 km, bis sie in Belgien nahe der französischen Grenze mit leerem Tank abstürzte. Besonders peinlich für die sowjetischen Militärs ist nun die Frage, warum es ihnen nicht gelang, den Geisterflieger noch in ihrem Hoheitsbereich zu orten und abzufangen. „Es ist schwer, dazu etwas zu sagen“, gestand Jasow gegenüber 'Tass‘. Eine nach Polen entsandte Expertenkommission solle diese Frage nun klären. Daß auch die westlichen Militärs das Flugzeug nicht abschossen, begründet die Nato mit dem Hinweis, der Geisterflieger habe sich ständig über bewohntem Gebiet befunden, ein Abschuß sei zu riskant gewesen. Offenbar hatten die Militärs auch gehofft, die MIG würde es noch bis über die Nordsee schaffen und dann ins Meer stürzen. Ein Nato-Sprecher beklagte ebenfalls die mangelnde Information durch die Sowjetunion, da der Umgang mit der MIG wesentlich leichter gewesen wäre, wenn die westlichen Militärs über die Bewaffnung der Maschine informiert worden wären. Die Nato beurteilte den Vorfall gestern zwar als ungewöhnlich, die normale Routine sei aber nicht durchbrochen worden. Die Möglichkeit eines Überraschungsangriffs habe man von vorneherein ausgeschlossen.

Der sowjetische Botschafter in Belgien, Felix Bogdanow, hat sich für den Vorfall offiziell entschuldigt und sein Bedauern über den Tod des 18jährigen Belgiers zum Ausdruck gebracht. Er kündigte an, sein Land werde in vollem Umfang für alle Schäden aufkommen. Als Konsequenz aus dem Geisterflug schlug der belgische Verteidigungsminister Coeme die Einrichtung eines europäischen Krisenzentrums vor, in dem ein fester Kontakt zu Moskau installiert werden sollte.

JG

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