: Butzbach: Richter auf der Flucht
Im Beleidigungsprozeß gegen den Strafgefangenen Peter Milberg wurde Anstaltsarzt Zenker als Zeuge zum Angeklagten / Amtsrichter Veit vertagte nach vergeblicher Abwehrschlacht entnervt die Verhandlung ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Butzbach (taz) - Kurz nach „high noon“ warf Amtsrichter Veit entnervt das Handtuch und vertagte die Verhandlung gegen den Strafgefangenen Peter Milberg, der sich seit der vergangenen Woche wegen einer angeblichen Beleidigung des Anstaltsarztes der JVA Butzbach, Dr.Manfred Zenker (45), vor dem dortigen Amtsgericht verantworten muß (taz vom 30.6.89).
Dem Abgang des Richters vorausgegangen war ein zweiter Befangenheitsantrag des gesetzeskundigen Angeklagten gegen seinen Richter. Milberg warf Veit vor, mit der stereotypen Zurückweisung seiner Fragen an den als Zeugen geladenen Anstaltsarzt Zenker seine „Sorgfalts- und Unbefangenheitspflicht“ als Richter verletzt und die „Wahrheitsfindung behindert“ zu haben. Den Antrag auf Sitzungsunterbrechung zur Formulierung des Ablehnungsantrags nutzte Richter Veit dann - sichtlich erleichtert - zur Vertagung des ganzen Prozesses. Der erste Befangenheitsantrag des Angeklagten gegen Veit wegen der geschäftlichen Verbindungen der Richtersgattin - sie ist Augenärztin in Butzbach - zu Anstaltsarzt Zenker war vom Amtsgericht zuvor verworfen worden.
Nach Auffassung des Angeklagten und seines Verteidigers Roland Kern habe Richter Veith - „im Verein mit dem Staatsanwalt und dem Zeugen Dr.Zenker“ - alle kritischen Fragen an den Anstaltsarzt, die sich mit den Behandlungsmethoden von Zenker beschäftigten, abgewürgt. Rechtsanwalt Kern insistierte wiederholt vergeblich darauf, daß das Gericht ohne Kenntnis der Hintergründe und Umstände, unter denen der Angeklagte seine angeblich beleidigende Äußerung gegen den Anstaltsarzt schriftlich fixierte, die „Tat“ nicht einordnen könne. Milberg hatte in einem Brief an einen Freund die Auffassung geäußert, daß ein Mensch dafür bestraft gehöre, wenn er einen Arzt „Dr.Zenker“ nenne. Mehrmals mußte Richter Veit während der Zeugenvernehmung von dem Angeklagten auf Rechts- und Protokollierungsvorschriften hingewiesen werden. Trotz der auferlegten Beschränkungen gelang es Milberg während der gut einstündigen Befragung von Zenker, das ganze Ausmaß der Anklagen der Gefangenen gegen den Anstaltsarzt offenzulegen. Der Angeklagte verwies darauf, daß mehr als 300 Gefangene aus Butzbach eine Petition an den Hessischen Landtag gerichtet hätten, in der die Ablösung Zenkers gefordert worden sei. Zenker „schätze“ in aller Regel den Gesundheitszustand der Gefangenen „aus drei Meter Entfernung“ ab; ein türkischer Gefangener habe „stundenlang in seinem Erbrochenen gelegen“ - ein anderer habe sterben müssen, weil Zenker seinen ärztlichen Pflichten nicht nachgekommen sei.
Der Prozeß gegen Peter Milberg, der sich mehr und mehr zu einem Prozeß gegen Anstaltsarzt Zenker entwickelt, soll in der nächsten Woche fortgesetzt werden.
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