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Wenn Karstädterinnen erzählen...

■ Frauen aus der Gardinenabteilung von Karstadt standen Streikposten am Haupteingang

Die Verkäuferinnen, die gestern mittag bestens gelaunt den Eingang Söge-Ecke Obernstraße bei Karstadt bewachten, kamen geschlossen aus der „Gardinenabteilung“. Und über die sind sie mehr als verbittert: „Alles wetzt, alles rennt. Und das sieht kein Mensch.“ Freundlich, fast schon fröhlich diskutierten sie mit PassantInnen über das Ladenschlußgesetz. Aber wenn sie auf die Gardinenabteilung zu sprechen kamen, verging ihnen das Scherzen. Ihre Namen, nein, die wollen sie nicht in der Zeitung sehen, aber daß sie aus der Gardinenabteilung kommen, das darf in die Zeitung, entscheiden sie: „Wir haben ja nichts zu verbergen.“ Jede steuert ihren Teil Bitterkeit bei: „Vor sechs, sieben Jahren waren wir noch 28 Leute. Dann wurde abgebaut. Heute sind wir noch acht, wenn alle gleichzeitig da wären. - Das geht alles auf unsere Knochen.“ Eine geht noch weiter: „In anderen Abteilungen, die können sich schön machen und halten sich am Pfeiler fest; wenn man das sieht, ist man manchmal so sauer, daß man aufhören will.“ - „Wenn ich nochmal auf die Welt komme, dann will ich als Mann geboren werden, die brauchen nicht so viel arbeiten.“ Die Gardinenabteilung ist für sie mit die „arbeitsaktivste“: „Alles muß beraten, alles muß berechnet werden. Jedes Fenster extra, und der Kunde ist anspruchsvoll.“ - „In unserer Abteilung stehen die Kunden Schlange, wir können schon fast Nummern ausgeben, wie beim Metzger“ - „Wir sind Beraterinnen, Verkäuferinnen, Zuschneiderinnen, Packerinnen, Kassiererinnen...“ Zeit für Pausen bleibt selten. Zeit zum Krankgeschrieben-Werden auch nicht: „Ich komm‘ mit dem Kopf unter'm Arm. Denn da ist ja sonst keiner bei Karstadt.“

Die meisten von ihnen arbeiten Teilzeit. Jede hat andere Arbeitszeiten und einen anderen Vertrag. Die eine über 26 Stunden, die andere über 27 1/2 Std. Die eine arbeitet von Mittwoch bis Freitag, immer von 9 bis 18.30 Uhr. Und an den drei „kurzen“ Samstagen. Die andere muß an allen Samstagen ran, auch an den langen. Dafür hat sie mehr Geld, aber kein Wochenende mit der Familie. Manchmal sind sie zu dritt, manchmal, und garantiert zwischen zwölf und vier Uhr - ist eine ganz alleine.

Bezahlt werden sie seit 1976 nach Umsatzbeteiligung. Und die schafft böses Blut. Ein Fixum von 1.620 Mark ist den Vollzeitkräften sicher. Wer aber auf mehr als 10 Prozent über den Tariflohn von 2.120 Mark kommen will, muß die anderen an die Wand drücken. Wie genau aber das individuelle Gehalt ausgerechnet wird, wissen sie nicht, nur daß fast keine trotz Akkord über die 10 Prozent-Marge kommt. Mehr wollen sie zum heiklen Thema „Umsatzbeteiligung“ auch nicht sagen: „In unserer Abteilung halten wir zusammen.“ Etliche haben sich ihre Rente schon ausrechnen lassen. Die liegt bei den Teilzeitfrauen gerade mal über 650 Mark.

Ein Drittel der Verkäuferinnen bei Karstadt sind mittlerweile „Propagandistinnen“. D.h. sie sind nicht bei Karstadt beschäftigt, sondern bei Firmen wie Pfaff, Büsing, WMF oder Alibert, die ihre Produkte in den Karstadt-Regalen plaziert haben. Doch auch die „Propagandistinnen“, die nicht zum „Einzelhandel“ zählen, streikten gestern inoffiziell und geschlossen mit. Warum sind sie sich alle so einig bei diesem Streik, der für fast alle der erste im Leben ist? „Weil wir alle strampeln müssen, bis zum geht nicht mehr. Da ist man sich einig“, ist die einhellige Antwort. Ihr Personalchef hätte in „Buten & Binnen“ bereits gesagt, wenn „Karstadt“ donnerstags länger aufhätte, würden keine zusätzlichen Arbeitskräfte eingestellt. Und noch mehr abstrampeln wollen sie sich nicht. Donnerstag abends bis halb neun - „wer das will, hat noch nie richtig gearbeitet.“

Und aus noch einem ganz anderen Grund sind sie gegen die verlängerten Öffnungszeiten. Denn dann kommen sie, gerade wenn sie außerhalb Bremens wohnen, so spät nach Hause, daß nichts mehr ist mit Hausarbeit, und - sie haben große Angst vor dem Nachhauseweg: „Was meinen Sie, was da alles lauert.“ Eine läßt sich schon jetzt von ihrem Mann abholen, weil sie „schon einmal angefallen worden“ ist. - Schon allein aus diesem Grund, wollen sie heute noch weiter streiken.

B.D.

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