: AL in der Koalition, GA in der Opposition?
Versuch einer politischen Zielbestimmung für einen Parteivorstand aus der Sicht der „Grünen Panther“ ■ D O K U M E N T A T I O N
(...) Wir müssen die Auseinandersetzung, den Kampf für politische Forderungen aufnehmen. Wir wollen eine Politik, die emanzipatorisch und partizipatorisch wirkt, die Rot-Grün und vor allem die Ziele der AL einerseits der Gesellschaft näherbringt, sich aber andererseits an vorhandenen Bedürfnissen orientiert. Wir wollen keinem Ordnungsmief ausgeliefert sein wie die SPD, nicht von oben verordnen, dennoch lenken. Damit ist eine bisher unterbelichtete Anforderung an den künftigen GA und die AL skizziert:
1.Der politische Diskurs darf nicht länger nur dem Zufall überlassen bleiben, sondern soll gezielt, akzentuiert und möglichst um eine Nase voraus geführt werden - und zwar breit und nicht immer nur auf die eigene Szene fixiert. Dafür muß der neue GA entsprechende Foren schaffen oder unterstützen, Themen riechen und selbst setzen.
2.Die AL muß die Gesellschaft wahrnehmen, präsent sein und auf sie wirken. Der GA muß ein Medien- und Öffentlichkeitsarbeitskonzept vorlegen. Pflichtübungen wie Stachel verteilen und Stände in den Bezirken sind unzureichend. (...) Eine mit aufopferndem, ehrenamtlichem Engagement stehende und fallende Zeitung, zu wenig Aktionsfähigkeit, um im RVK, Sachsendamm oder in bedrohten Kleingärten präsent zu sein, kann sich die AL eigentlich nicht erlauben.
3.Alternative Politik muß erreichbar sein. Nicht nur in Form von Läden und Zeitungen, sondern in Personen in den Bezirks und Bereichsgruppen, ihre StadträtInnen, SenatorInnen und MandatsträgerInnen. BürgerInnensprechstunden und -büros sind dafür so unverzichtbar wie unser bisheriges Engagement für Minderheiten. Über Möglichkeiten, wie „normale“ Leute auch „ihre“ Bezirksgruppe ansprechen können, müssen wir dringend nachdenken.
(...) Damit ist eine zweite Anforderung angesprochen: Das AL-Programm ist Flickwerk wie die Koalitionsvereinbarungen. Beide erfassen nicht die Vielfalt und die Widersprüchlichkeit des gesellschaftlichen Lebens. (...) Ob Privatrundfunk, Kleingärten, Arbeit oder Arbeitslosigkeit, Schule, Sport, Behörden, Freizeit, Dienstleistungsabend oder auch listeninterne Abläufe und Rituale - die AL muß nimmermüde Antworten suchen, wie wir in zehn Jahren in Berlin leben, arbeiten und politisch wirken wollen. (...) Neben einer so trägen SPD muß es möglich sein, mit bemerkenswerten Initiativen ins Gespräch zu kommen und Rot -Grün voranzutreiben.
Eine sollte eine wichtige Funktion des GA werden, eine bessere Wirkung nach außen intensiv anzugehen, auch die bezahlte GA-Arbeit sollte sich nicht allein in der Kontrolle der Koalition verlieren, sondern Rot-Grün weiterentwickeln helfen.
Eine Stadtregierung wird - auch wenn sie es wollte - keine Utopien umsetzen können und kein Hoffnungsträger sein. Selbst der Versuch dazu wäre ein zweifelhafter Fortschritt, denn dadurch würde sich die Gesellschaft auf staatliches Handeln fixieren, ohne die Probleme zu lösen. Von einer rot -grünen Regierung ist stattdessen in erster Linie zu erwarten, daß sie der Bevölkerung mehr Einflußmöglichkeiten und Freiheitsspielräume gibt, daß die Politik durchlässiger für Interessen von unten wird. (...)
Wenn (...) emanzipatorische, politische Ziele gesetzt werden, dann ist allerdings festzustellen, daß die SPD in den ersten 100 Tagen wenig dafür getan hat. Zwar vermittelt Momper als Regierender Bürgermeister den Eindruck von Bürgernähe und Bescheidenheit (hier gemeint als Gegensatz zur Arroganz der Macht), aber entsprechende Handlungen fehlen weitgehend. Am Umgang mit Hausbesetzungen und Polenmarkt wird deutlich, daß jede Störung des Ordnungssinns von Behörden und Teilen der Bevölkerung gefürchtet wird. Auch die bürokratische Durchsetzung von Tempo 100 auf der Avus läßt Schlimmes fürchten für die weitere Umsetzung der Verkehrsberuhigung.
Die Aufgabe der AL kann nur sein, phantasievoll und nachdrücklich für mehr Freiheitsspielräume von unten einzutreten und sie gegen den Verwaltungstrott durchzusetzen. (...) Entweder kann Rot-Grün als Gesamtprojekt in der Stadt die Erfahrung einer schrittweisen Besserung vermitteln, oder die Koalition wird einer neuen Rechtswende Platz machen müssen. Der Gradmesser für Fortschritte wird dabei weder das möglichst reibungslose Verwalten der Probleme der Stadt sein - wie die SPD denkt noch der möglichst betroffene Aufschrei, sondern das Ausmaß, in dem sich ökologische und demokratische Interessen von unten artikulieren und wirksam werden können.
Peter Lohauß / Volker Härtig
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