: MARCIA PALLY
■ Short Stories from America: Mapplethorpe und die Rechten
Ich habe beschlossen, etwas gegen die Corcoran Gallery zu unternehmen. Die Galerie in Washington D.C. hat eine Ausstellung des Fotografen Robert Mapplethorpe abgesetzt, und ich halte das für einen Fehler - nicht weil es Zensur gegenüber Herrn Mapplethorpe bedeutet, wie sie nun alle wieder schimpfen, sondern weil ich mich ärgere über den Schaden, den die Absetzung den Fundamentalisten und anderen Rechten zufügt. Da sie Mapplethorpe nicht zeigt, hat die Corcoran Gallery sie mit einem Schlag ihres Grundrechts auf Protest beraubt.
Nehmen wir einmal an, Corocoran hätte sich dem Druck nicht gebeugt und Mapplethorpe ausgestellt: dann hätten die Konservativen, die Mapplethorpes Lilien, Porträts und Akte für Ausgeburten der Hölle halten, so richtig loslegen und ein veritables Jüngstes Gericht inszenieren können. Sie wären in der „Oprah Winfrey Show“ aufgetreten und hätten Millionen von Fernsehzuschauern mit ihren Thesen zu Sünde und Kunst konfrontieren können. Nun aber ist der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben, die Kanzelredner sind abgekanzelt. Schwamm drüber: genau das wollten die frühen Protestierer keineswegs - seltsam, daß die Ausstellungsmacher das nicht bemerkt haben. Kein Mensch wird gern um den Profit gebracht, schon gar nicht, weil er Erfolg hat. Schlimmer noch, Corcoran hat aus Mapplethorpe und den Verteidigern der freien Rede nun endgültig Märtyrer gemacht (Mapplethorpe starb im März an Aids). Kein Wunder, daß die Fundamentalisten sauer sind.
Alles, was wir jetzt zu hören kriegen, sind liberale Klagegesänge gegen die Zensur. Am 16. Juni hatten sich Künstler, Menschenrechts- und Schwulenadvokaten zusammengetan und eine Demonstration gegen die Gallerie organisiert. Die Leitartikel unserer Zeitungen waren voll mit Ermahnungen über die Bedeutung des Ideenpluralismus in einer Demokratie (und anderen Ermahnungen, daß, wenn man das Zeug nicht mag, man ja nicht bezahlen und es sich ansehen muß). Künstler aller Disziplinen nahmen die Gelegenheit wahr, um auf die mangelnde Subventionierung von Kunst in den USA aufmerksam zu machen - eine katastrophale Konsequenz der Corcoran-Affäre aus der Sicht derjenigen, die schon immer wollten, daß die 170 Millionen Dollar, die jährlich vom Staat für Kultur ausgegeben werden, endlich der Bibel- und Bombenproduktion zufließen. Schon am nächsten Tag mußten die Abonnenten der 'New York Times‘ lesen, daß staatliche Subventionen nur fünf Prozent des Gesamt-Budgets der kulturellen Institutionen Amerikas ausmachen; in Europa sind es dagegen 60 bis 100 Prozent. Die 'New York Times‘ führte sogar aus, daß den 170 amerikanischen Millionen alleine in der Bundesrepublik sechs Milliarden nur fürs Theater gegenüberstehen.
Was können die Konservativen darauf noch erwidern? Ohne Ausstellung haben Sie keine Gelegenheit zum Protest, keine Möglichkeit, ihr verfassungsmäßig verbrieftes Recht auch auszuüben, wie es die Liberalen so eifrig tun können. Glücklicherweise wird das „Project of Art“ in Washington die Ausstellung nun im Spätsommer zeigen - die spekulieren auf den Skandalbonus -, und der Laserkünstler Rockne Krebs will die Mapplethorpe-Fotos auf die Fassade des Corcoran-Gebäudes projizieren: also doch noch zwei Gelegenheiten für freie Rede und Public Relation für alle mehr oder weniger frommen Rechtsabweichler. Aber bis dahin sind sie traurigerweise gezwungen, sich auf abstrakte Statements zu beschränken, Statements gegen den Gebrauch öffentlicher Gelder für Kunst, die Teile der Öffentlichkeit für ekelhaft hält. Vermutlich mißfällt es ihnen sehr, daß sie dabei ein Argument anführen müssen, welches von ihren progressiven Kontrahenden so leicht widerlegt werden kann. Die einen finden Mapplethorpe eklig, die anderen nicht, und schließlich leben wir in einer freien Gesellschaft, und jeder Steuerzahler darf sagen, was der denkt. Oder wie der Direktor des American Repertory Theater ironisch bemerkte: „Die Freiheit der Kunst ist ein vom Staat verbürgtes Recht - es sei denn, sie wird vom Staat gefördert.“ Begreifen Sie nun, warum diese Affäre den Rechten das Leben so schwer macht?
Der Fall des konservativen Senators Alfonse d'Amato wird Ihnen vielleicht eine Vorstellung davon geben, wie verzweifelt man sich in seinem Lager um Selbstdarstellung bemüht. Er erhob sich im Kongreß und riß den Mapplethorpe -Katalog in Stücke. Er hatte offenbar nicht alle Tassen im Schrank.
Solange die Erzkonservativen keine besseren Protestbedingungen haben, schlage ich vor, sie sollen der Ausübung ihrer Grundrechte doch nachgehen, indem sie selber Kunst machen, staatliche Förderung beantragen und sich zwecks Ausstellung an die Corcoran Galerie wenden. Außerdem ist mir aufgefallen, daß zumindest die religiösen Konservativen sich beim Ausüben der freien Rede etwas geschickter anstellen: Sie wollen TV-Geräte mit dem Fallschirm vom Himmel zur Erden schicken. Die National Religious Broadcasters arbeiten zur Zeit an ultraleichten Plastik- und Styropor-Fernsehern, die per Computer-Chips funktionieren und über den entlegensten Dörfern der Welt abgeworfen werden können. Kirchenfunk noch für den letzten Eingeborenen oder, wie einer der Rundfunk-Redakteure meinte: „Wir erreichen komplette unerreichbare Bevölkerungsgruppen“. Und wenn erst die „kompletten unerreichbaren Bevölkerungsgruppen“ an jedem ihrer verfassungsmäßig geschützten Worte hängen, können ihnen die paar degenerierten Gestalten, die dann noch in Kunstgalerien gehen, komplett egal sein.
Aus dem Amerikanischen von Christiane Peitz
Marcia Pally ist eine bekannte New Yorker Journalistin und Feministin. sie ist Cheffilmkritikerin bei 'Penthouse‘ und schreibt außerdem in 'The Village Voice‘, 'New York Times‘ 'The Nation‘ und 'Taxi‘. Und einmal im Monat in der taz, was Europäer über den Big Brother wissen sollten.
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