: START: „Überhaupt kein Konsens“
Verhandlungen sind von Erfolg noch viele Raketenbahnen entfernt / US-Positionen sehr konfus Demokratischer Senator Levin: „Produzieren, stationieren, doch weiterhin Verbot fordern“ ■ Aus Genf Andreas Zumach
Die Großmächte stehen kurz vor der Unterzeichnung eines umfassenden Abrüstungsvertrages. Doch ein heimtückisches Komplott soll den US-Präsidenten beseitigen und den Vertragsabschluß sabotieren. Nur einer kann das verhindern: der Unterhändler... Nicht ganz wie im richtigen Leben, was Frederick Forsyth in seinem derzeit überall groß angekündigten „neuen Weltbestseller“ erzählt. Zwar könnte Richard Burt, Washingtons neuer Chef-Delegierter bei den Genfer START-Verhandlungen, dem Thrillerautor durchaus als Vorlage für die Hauptfigur seines „Unterhändlers“ gedient haben. Doch vom Ausgangspunkt des Romans sind USA und UdSSR noch viele Raketenflugbahnen entfernt.
Bis zu einem unterschriftsreifen Abkommen über die Reduzierung der Langstreckenraketen „bedarf es noch langwieriger Verhandlungen. Die selben grundlegenden Probleme, die uns schon bis zur Unterbrechung im Herbst '88 zu schaffen gemacht haben, sind nicht beseitigt.“ Mit diesen Feststellungen kündigte Admiral Crowe Anfang dieser Woche seinen Rücktritt vom Amt des Vorsitzenden der Stabschefs der Vereinigten US-Streitkräfte für Ende September an. Anders als sein Vorgänger kein verbohrter Falke, stand Crowe der Entwicklung in der UdSSR mit vorsichtigem Optimismus gegenüber. Während der viermonatigen „Generalüberprüfung“ der US-Sicherheitspolitik durch die neue Administration hatte er sich für eine größere Kompromißbereitschaft am Genfer Tisch eingesetzt - etwa hinsichtlich der Zählweise flugzeuggestützter Cruise Missiles und ihrer Sprengköpfe. Genauso vergeblich wie das Plädoyer von Präsident Bushs Sicherheitsberater Scowcroft für ein Verbot seegestützter Marschflugkörper.
Durchgesetzt haben sich bei der Formulierung von Washingtons START-Positionen zunächst einmal die beharrenden Kräfte im Außenministerium und im Pentagon. Neu ist lediglich Bushs Chefunterhändler Richard Burt. Zweifellos ist der bisherige Bonner US-Botschafter Burt ein besserer PR -Mann als viele seiner Vorgänger. Auch die Sachkompetenz des früheren sicherheitspolitischen Redakteurs der 'New York Times‘ wird nicht bezweifelt. Daß Burt wegen erbitterten Widerstandes ultrarechter Senatoren erst in buchstäblich letzter Minute die Bestätigung für seinen neuen Job als Chefunterhändler erhielt, gereicht ihm in den Augen vieler eher zur Ehre. Schließlich gelang es ihm bei seinen ersten Genfer Auftritten auch, die schneidige Arroganz zu verbergen, mit der er während seiner Washingtoner Zeit als Mitarbeiter des State Department so manchen Fragesteller als „dümmlich“ abzufertigen pflegte. Dennoch vermochte auch Burt nicht den Eindruck zu vermitteln, als verfüge die Bush -Administration inzwischen über ein schlüssiges Konzept für ihre Sicherheits- und Rüstungskontrollpolitik.
Die von ihm erläuterten und auch nach Meinung prominenter US-Kritiker lediglich auf Verzögerung der Verhandlungen angelegten Vorschläge für die Erprobung von Verifikationsmaßnahmen vor dem Abschluß eines START -Vertrages, führen sogar zu zusätzlichen Widersprüchen. Obwohl U-Boot Raketen nach der bisherigen US-Position überhaupt nicht unter einen Vertrag fallen sollen, verlangt Washington jetzt die probeweise Überwachung eines Verbotes von Flugtests mit diesen Raketen. Den Eindruck zahlreicher Widersprüche und großer Konzeptionslosigkeit in Washington vermittelten auch acht mit diesen Fragen federführend befaßte US-Senatoren beider Parteien. Sie weilten vergangene Woche zu Gesprächen mit Washingtons Vertretern bei den diversen Rüstungskontroll-und Abrüstungsverhandlungen in Genf und Wien. Ein Beispiel: Auf die Frage, ob der Senat denn die Mittel für neue mobile Interkontinentalraketen der beiden Typen MX und Midgetman bewilligen werde und welchen Einfluß dies auf die US-Position bei START habe, antwortete der führende Republikaner im Streitkräfteausschuß, Warner, es gebe einen „Konsens im Senat und mit der Administration für beide Waffensysteme“. Doch bisher hatte Washington auf ein völliges Verbot dieser mobilen, auf Zügen postierter Interkontinentalraketen, über die bislang nur die UdSSR verfügt, bestanden. Sein Parteikollege Lugar sagte voraus, der Senat werde „nur eines der beiden Systeme bewilligen“. Der stellvertretende Fraktionsführer der Demokraten, Leahy, sah „bislang überhaupt keinen Konsens, weder für MX, noch für Midgetman“. Zunächst müsse die Administration „erst einmal ein Konzept vorlegen“ und sagen, was sie wolle.
Präsident Bush hatte hingegen erst wenige Tage zuvor angekündigt, er werde eine endgültige Entscheidung über die Beschaffung von MX und/oder Midgetman erst treffen, nachdem der Senat über die Finanzen befunden habe. Der demokratische Senator Levin, Vorsitzender des Unterausschusses für Fragen der konventionellen Rüstung, schließlich erklärte in Genf, eine Entscheidung für eine oder beide neuen mobilen Raketen habe „nicht notwendig einen Einfluß auf unsere Verhandlungsposition bei START“. Die USA könnten die neuen Raketen produzieren und stationieren und „dennoch weiterhin in Genf das völlige Verbot dieser Waffenkategorie fordern“.
Angesichts dieses Chaos sind Ergebisse bei START in absehbarer Zeit wohl nicht zu erwarten. Vorzeigbare Erfolge wird Bush deshalb auf weniger problematischen Feldern suchen. Ein Ergebnis kann möglicherweise bis Ende des Jahres vorliegen: die Ratifizierung der bereits 1974 bzw. 1976 abgeschlossenen und seitdem auch von beiden Seiten beachteten Verträge zur Begrenzung „ziviler“ und militärischer Atomexplosionen auf 150 Kilotonnen. Für die Einigung über zusätzliche Verifikationsmaßnahmen - mit dieser Forderung verweigerte der US-Senat einst die Ratifizierung der Verträge - gibt es jetzt grünes Licht aus Washington. Ändern wird sich in der Praxis der Waffentests für SDI, atomare Aufrüstung und „Modernisierung“ durch das Inkrafttreten dieser Abkommen überhaupt nichts. Doch die Bush-Administration muß bis zur Halbzeit 1990 irgendeinen Erfolg ihrer Rüstungskontrollpolitik vorweisen können - und bei den anderen Verhandlungsrunden in Genf und Wien ist derzeit keiner absehbar.
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