: Sogar Landstraßen werden privatisiert
Heute übernimmt in Argentinien der Peronist Carlos Saul Menem das Präsidentenamt / Mit einem rigorosen Sparprogramm will er das Land der Erde aus dem wirtschaftlichen Chaos retten / Doch schon sind seine Anhänger von absehbaren sozialen Folgen schockiert / Arbeitern reicht der Lohn nur für den Busfahrschein ■ Aus Buenos Aires Gaby Weber
Nachdem in der vergangenen Woche Raul Alfonsin fünf Monate früher als geplant zurückgetreten ist, wird nun heute der gewählte Präsident Carlos Saul Menem vereidigt. Sein Kabinett besteht aus Politikern vom rechten Flügel der peronistischen Partei. Der Gewerkschaftsfunktionär Jorge Triaca wurde neuer Arbeits- und Italo Lu Verteidigungsminister. Dazu gesellen sich Technokraten, die schon den Militärs treu gedient hatten: Der frühere Chef der Zentralbank Domingo Cavallo wurde Außenminister und Santiago de Estrada Staatssekretär für soziale Sicherheit, ein Posten, den er bereits unter der Diktatur bekleidet hatte. Menems wichtigster Mann ist zweifellos Manuel Roig, Ex -Direktoriumsmitglied von Bunge und Born (BB), des größten Konzerns der südlichen Halbkugel. BB hatte als argentinisches Unternehmen im Agrogeschäft begonnen, ist heute ein Multi mit Zentrale in Brasilien.
Schlüsselpositionen im Kabinett wurden auch an traditionell mit den Peronisten verfeindete Politiker der ultrarechten „Union des demokratischen Zentrums“ (UCeDe) vergeben: UCeDe -Chef Alvaro Alsogaray hatte die ihm angebotene Botschaft in Washington dankend abgelehnt, um jetzt zum „Präsidentenberater“ ernannt zu werden. Seine Tochter Maria Julia, die bei den Mai-Wahlen nicht die ausreichende Stimmenzahl für ein Senatoren-Amt erhalten hatte, wird Interventorin der Telephongesellschaft ENTel. Innerhalb von sechs Monaten will sie den mit 1,4 Milliarden Dollar verschuldeten Staatsbetrieb privatisiert haben. Siemens soll bereits Interesse bekundet haben. Und Parteifreund Albamonte erklimmt den Sessel des Staatssekretärs für Binnenhandel.
Der Peronist Menem will mit den alten Rezepten vom freien Spiel der Kräfte des Marktes die Staatsfinanzen sanieren. Das Schatzamt ist pleite, die Devisenreserven sind erschöpft, auch unverzichtbare Importe können nicht mehr bezahlt werden. Seit Monaten entrichtet Buenos Aires seine Mitgliedsbeiträge an internationalen Organisationen nicht mehr und hat bereits in der UNO und der OAS sein Stimmrecht verloren. Zwar verbreitet die neue Regierung Zweckoptimismus: 500 Millionen Dollar sollen die Spanier für vereinbarte Erdöllieferungen und anderthalb Milliarden die Agroexporteure vorschießen. Aber ausschlaggebend wird das Urteil des IWFs sein, von dem die Weltbank neue Kredite abhängig macht. Argentinien hat im Mai 1988 die Zinszahlungen ausgesetzt und steht inzwischen mit über sechs Milliarden Dollar in der Kreide. Die Beziehungen zu Washington waren seitdem eingefroren. Der neue Präsident feiert es als Erfolg, daß sich die IWF-Beamten inzwischen wenigstens wieder in die argentinische Hauptstadt bemüht haben, um das neue Wirtschaftsprogramm zu studieren.
US-Ökonom steht für Schocktherapie bereit
Im vorverlegtem Gehorsam unternimmt die neue peronistische Regierung alles, um den IWF gnädig zu stimmen. Subventionen sollen gestrichen, die Telephongesellschaft, die Eisenbahnen, die Landstraßen und die Erdölförderung privatisiert werden. Das Wirtschaftsmodell soll sich diesmal nicht an Milton Friedmann, sondern an einem anderen US -Nobelpreisträger in Ökonomie orientieren. Der Wirtschaftswissenschaftler Lawrence Klein steht Pate. Und vor wenigen Tagen hat Menem den 34jährigen Havard-Professor Jeffrey Sachs aufgefordert, ihn bei der Umstrukturierung der argentinischen Wirtschaft zu beraten. Er hatte vor vier Jahren mit einer Schocktherapie die bolivianische Inflation von 24.000 Prozent jährlich auf zehn Prozent gedrückt und 25.000 Bergarbeiter und 30.000 Angestellte in die Arbeitslosigkeit entlassen. Während sich die Bolivianer in das Geschäft mit der Koka flüchten, stehen in Argentinien wohl neue Hungerrevolten an.
1950 wurde der Lebenstandard des Durchschnitts-Argentiniers nur von der USA, Kanada, Großbritannien und Schweden übertroffen. Heute leben vier Millionen Argentinier in „absoluter Armut“. Im Großraum Buenos Aires ernähren sich zwei Millionen auschließlich von den Volksküchen, Armenspeisungen und den Lebensmittelpaketen der Regierung. In 37 Prozent der Haushalte können Grundbedürfnisse nicht erfüllt werden. Zwischen 1980 und 87 ist die Armut von 26 Prozent auf 39 Prozent gestiegen. Das sind offizielle Zahlen des statistischen Landesamtes. „Täglich sterben vier Kinder an Unterernährung“, so der Gesundheitsminister der Provinz Buenos Aires, Rafael Roma, „was die Arbeiter verdienen, reicht ihnen gerade für den Bus zur Arbeitsstelle.“ Der Anfang Juli ausgezahlte Mindestlohn betrug gerade zwölf Dollar pro Monat, während die Regierung errechnet hat, daß eine vierköpfige Familie mindestens 220 Dollar zum Überleben braucht.
Die neue Regierung tritt ihr Amt ohne politischen Rückhalt an. Der Peronismus ist heute weit davon entfernt, zu einer neuen Massenbewegung zu werden. Menems Versuche, Volksnähe zu beweisen, wenn er im Fernsehen Tango tanzt oder Fußball spielt, wirken angesichts des Hungers im Lande peinlich. Das Bündnis mit der Ultrarechten ist zerbröckelt, bevor es richtig begonnen hat, die Parteiführung der UCeDe tat vor kurzem kund, das Techtelmechtel der Alsogarays sei deren Privatangelegenheit und keine von der Partei gebilligte Haltung. Einige Mitglieder der neuen Regierungsmannschaft verhöhnten Menem öffentlich. Sie verkündeten, daß sie bei den letzten Wahlen gewiß nicht für die Peronisten gestimmt haben. Und das 'Argentinische Tageblatt‘, ideologisches Sprachrohr der UCeDe, schrieb: „Menem braucht zum Regieren gute Leute, die jedoch im Peronismus, (der) viele Taugenichtse, Krumme-Geschäfte-Macher und dubiose Figuren anzieht, eher spärlich vertreten sind.“
„Peronisten: Taugenichtse,
dubiose Figuren...“
An der peronistischen Basis brodelt es schon heute. Gerade die Ärmsten, ihr traditionelles Wählerpotential, hatten sich von Menem ein Ende der Armut versprochen. Doch statt der in Aussicht gestellten „massiven Lohnerhöhungen“ soll in den kommenden Tagen der einmalige Betrag von etwa 18 Dollar ausgezahlt werden. Der verdoppelte Mindestlohn wird noch nicht einmal die jüngsten Gebührenerhöhungen ausgleichen: Licht, Telephon, Wasser und Gas wird zwischen 200 und 350 Prozent teurer werden und Benzin um 500.
Innerhalb der eigenen Partei beginnt sich Widerstand zu regen. Der linke Flügel glaubt die Prinzipien Perons von sozialer Gerechtigkeit verraten zu haben, indem ausschließlich Leuten aus dem Großkapital die Lenkung die Wirtschaft übertragen wurde. „Es gilt das Kapital zu bekämpfen“, so heißt es im 'Peronistischen Marsch‘. Aber auch die orthodoxen Gewerkschafter sehen sich beim Postenkarussel und der neuen Wirtschaftspolitik übergangen. CGT-Generalsekretär Saul Ubaldini bekam bereits Menems Zorn zu spüren, weil er auch bei einer peronistischer Regierung Streiks nicht ausschließen und freie Lohnverhandlungen beibehalten wollte. Ubaldini wurde, bisher vergebens, der Posten als Arbeitsattache in der Botschaft in Madrid angeboten. Unter vielen Gewerkschaftern, aber auch unter der Mehrheit der peronistischen Senatoren, regt sich Unwillen über die beabsichtigten Privatisierungspläne.
„Harte, sehr harte Zeiten kommen auf uns zu“, kündigte der neue Präsident an. Zeiten, in denen Menem offenbar Polizei und Militär an seiner Seite wissen will. Die Amnestie für die wegen Menschenrechtsverletzungen verurteilten Offiziere scheint beschlossen. Er könne nicht einmal ein Vögelchen gefangen im Käfig sehen, so der neue Präsident.
Im September will der neue Präsident nach Washington fahren, um die Finanzwelt von seinen redlichen Absichten zu überzeugen. Aber was wird passieren, wenn der IWF trotz der Sparpläne keine neuen Kredite genehmigt? Zur Zeit verhandeln Venezuela und Mexiko mit einem nie dagewesenen Selbstbewußtsein über den Rückkauf ihrer Schulden; wenn der IWF Buenos Aires die kalte Schulter zeigt, dann könnte es in Argentinien zum wirtschaftlichen und sozialen Kollaps kommen.
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