Die Befreiungsbewegung als Folterknecht?

Von der namibischen Swapo freigelassene Gefangene werfen der Bewegung Folter und Morde vor / Swapo-Verantwortlicher Gurirab spricht von im Krieg notwendigem Schutz vor südafrikanischen Spionen und dem „häßlichen Aspekt der Vergangenheit“  ■  Aus Windhoek Knut Pedersen

Nie zuvor war der Presseraum im Hauptquartier der Vereinten Nationen in Windhoek so vollgepackt - mit Emotionen, Journalisten und ehemaligen Gefangenen, die der Swapo ihr moralisches Recht streitig machen, als Befreiungsbewegung aufzutreten.

Am Donnerstag morgen haben rund 50 „Rückkehrer“ beschrieben, was sie „jahrelang in den Konzentrationslagern der Swapo erlitten haben“. So jedenfalls beschrieb der Wortführer der ehemaligen Gefangenen, Ottniel Kaakunga, die bittere Erfahrung der vermeintlichen „Spione Südafrikas“ in den Reihen der namibischen Nationalisten. „Das ist ein häßlicher Aspekt der Vergangenheit“, räumte im taz-Gespräch Theo-Ben Gurirab, der Swapo-Verantwortliche für Internationale Beziehungen, ein.

„Es ist gut, daß sich die Leute jetzt aussprechen, aber wir müssen uns alle bemühen, die Wunden zu heilen. Der Krieg für unsere Befreiung - mit all seinen Schrecken - ist nun vorbei.“

Im Presseraum der Vereinten Nationen haben Männer ihre Hemden aufgerissen, um die Narben ihrer Mißhandlungen zu zeigen. „Das verzeih‘ ich ihnen nie“, stieß Johannes Saul Motenga aus, dessen Rücken von tiefen Striemen verunstaltet ist. Der 27jährige Mann war 1982 nach Angola geflohen und von Swapo-Kämpfern als „südafrikanischer Spion“ denunziert und verhaftet worden.

„Die hätten mich umgebracht, wenn ich das diktierte Geständnis nicht unterschrieben hätte“, sagt Motenga, und mehrere Anwesende im Saal bestätigen seine Worte. Sie alle seien mit Drahtpeitschen gefoltert, lebendig begraben und mit dem Kopf nach unten stundenlang aufgehängt worden, um schließlich zu gestehen. „Vor meiner Flucht war ich 14 Jahre lang ein Anhänger der Swapo im Norden Namibias“, erklärt Johannes Motenga. „Wie alle anderen hier bin ich ins Ausland gegangen, um zur Befreiung unseres Landes beizutragen. Statt dessen haben wir jahrelang in Lagern verbracht - als Gefangene unserer eigenen Brüder.“

An der Tatsache gibt es keinen Zweifel. Am 18.Juni hat die Swapo 201 „politische Gefangene“ im südangolanischen Lubango aus einem „Gefängnislager“ freigelassen, in das zuvor nicht einmal dem Internationalen Roten Kreuz je Zutritt gewährt worden war. Die Freilassung aller politischen Gefangenen ist Teil des UN-Entkolonialisierungsplans Namibias. Die Swapo hat sich gezwungen gesehen, ihren in Angola inhaftierten Dissidenten die Heimkehr zu erlauben, um die Amnestie ihrer in Namiba verurteilten Anhänger - 25 nach Angaben der südafrikanischen Verwaltung - zu erreichen.

„Politisch kann die Rückkehr der Gefangenen und Mißhandelten die Swapo teuer zu stehen kommen, aber daran führt nun einmal nichts vorbei“, kommentiert Katutire Kaura, einer der - schwarzen - Wortführer der „Demokratischen Turnhallen-Allianz“ (DTA), der Hauptrivalin der Swapo bei den Wahlen im November.

Am Dienstag, bei der Ankunft der ersten 153 Ex-Gefangenen der Swapo, hatte die DTA bereits versucht, politisches Kapital aus der emotional hochgespannten „Foltervergangenheit der Swapo“ zu ziehen. Aber die vor dem Flughafengebäude versammelten Eltern und Verwandten hatten schließlich die Oberhand gewonnen. Obgleich viele von ihnen Spruchbänder mitgebracht hatten, auf denen „Swapo-Gestapo“ oder „Swapo - wo ist mein Sohn?“ zu lesen war, schien die parteipolitische Einvernehmung eher peinlich.

„Sie haben hier nichts zu suchen. Oder haben Sie Kinder, die sich auf seiten der Swapo geschlagen haben?“, schrie eine Frau des „Elternkomitees“ dem Vertreter der DTA ins Gesicht. Der aufkommende Tumult wurde schließlich vom elegischen Gospelgesang der versammelten Mütter überstimmt. Nach stundenlangem Warten schloß die vom Alter gekrümmte Thusnelda Seibes ihren 36jährigen Sohn Aaron in die Arme. Er war vor 18 Jahren ins Exil gegangen und seit 1984 als „südafrikanischer Spion“ in Swapo-Haft.

Andere sind am Dienstag umsonst an den Flughafen gekommen. Weinende Eltern und Verwandte klagen die Swapo an, „Hunderte kaltblütig hingerichtet zu haben“. Darüber wird es vermutlich nie Gewißheit geben. In einem mit glaubwürdiger Offenheit geschriebenen Buch, das gerade veröffentlicht wurde, hat der ehemalige Swapo-Verantwortliche Andreas Shipanga beschrieben, wie Dissidenten einfach an die Front geschickt und dann als im Kampf gefallen galten. Shipanga hat selbst zwei Jahre lang in Gefängnissen gesessen, weil er „angesichts der korrupten Führungsclique um Sam Nujoma einen demokratischen Parteikongreß verlangt hatte“.

Noch bevor Namibia endlich unabhängig wird, bleibt da Vergangenheit aufzuarbeiten. „Jeder weiß, mit welchem Erfolg die südafrikanischen Sicherheitsdienste die Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika infiltriert haben“, erklärt Theo-Ben Gurirab von der Swapo. „Aber niemand will heute gelten lassen, daß wir uns während des Befreiungskampfes auch gegen Verräter in den eigenen Reihen haben schützen müssen.“ Mit allen Mitteln?