Die Speisung der 5.000 Mann

■ Drei Wunder mit, zwischen und hinter Pastor Clavies in der Friedenskirche

Das muß ja merkwürdig sein, mittenmang in diesem Viertel seelzusorgen, neben allem, was Bremen an babylonischer Sündhaftigkeit aufweist und inmitten eines grünen Klientels, das sich wahlurnenmäßig auf die Eroberung der absoluten Mehrheit vorberbeitet. Von denen hatte denn auch niemand in die Friedenskirche gefunden. Das - ViertelsbewohnerInnen werden das nicht so wissen - ist die nachempfundene Backsteingotikkirche an der Humbldtstraße. Unter den heftigbunten neuen Glasfenstern sitzen grauhaarige Ureinwohnerinnen (14) und Ureinwohner (4)des Viertels ganz unter sich.

In der Friedenskirche gibt es zwei Wunder. Das eine setzt ein, wenn sich der Pastor zu Altar und Kruzifix umdreht und nicht etwa gedämpfter zu hören ist, sondern plötzlich megalaut von irgendwo links hinter der Säule hervordonnert. Die im Schreck zu Rat gezogenen Augen bestätigen: der Leib im Schwarzrock steht noch immer vor dem Kruzifix. Die Wunder der Technik sind's, das kleine Mikrophon, unter Jesu Füßen, wenn er an dem Kreuze dranhinge, ist es, was Pastors Leib und Wort auf so beeindruckende Weise als die Zweiheit auftreten lassen, für deren Zementierung des Christentum berühmt ist.

Sind die Augen erst einmal aufgeschreckt, entdecken sie auf einmal statt einem Kruzifix derer drei. Die vier Altarkerzen haben mit den Kriminellen, die mit Jesus zusammen gekreuzigt wurden, ein Einsehen, sie werfen ihre vergessenen Kreuze als Schatten an die Wand.

Ein passender Ort also, eine Predigt über Wunder anzuhören, das Wunder von der Speisung der Fünftausend (Lukas 9, 10 -17). Der fünftausend Männer müßte es eigentlich heißen, denn so steht es in der geltenden Chauviübersetzung der Bibel. Pastor Clavies spricht denn auch gleich schlicht und militärisch von den 5.000 „Mann.“

Also, die 5.000, die Jesus aus einer Ausgangsmasse von zwei Fischen und fünf Broten so ernährt, daß noch 12 Körbe übrigbleiben. Pastor Clavies erzählt den Vorgang in epischer Breite nach, erinnert an unseren eigenen Nachkriegshunger, an den „Hunger der Welt“, dem gegenüber wir weniger aufgeschlossen sind und betont Jesu Aufforderung, daß die Leute sich in Gruppen von jeweils fünfzig hinsetzen sollen. „Kein Chaos, keine Anrachie“ scheint für Wunder eine zentrale Voraussetzung zu ein.

Und dann läßt er das Wunder ein einfach ein Wunder sein. Läßt es entstehen durch brüderliches Teilen, mit dem Jesus die Vermehrung besorgt, gegen die Welt von Kauf, Tausch und Wahrscheinlichkeit, aus der heraus die Jünger denken. Übersetzt das dann aber gleich - nicht daß es jemand anarchistisch mißverstünde - in eine künftige „Lebensweise“ und vor allem eben in einen „Glauben“, der die Grenzen der Aussichtslosigkeit sprengt. Das ist zwar alles ein bißchen ureinwohnermäßig milde, aber eigentlich doch gar nicht so weit weg von den grünen Hoffnungen des Viertels, oder?

Uta Stolle