: Kein Blumentopf zu gewinnen-betr.: "Die 'Rechte des Arsches' erkämpfen", taz vom 24.6.89
betr.: „Die 'Rechte des Arsches‘ erkämpfen“, taz vom 24.6.89
Die Autoren des Artikels haben recht: So langweilig wie die letzten 15 Jahre wird es auch für die Homos in nächster Zeit nicht bleiben. Rot-Grün oder Rechtsentwicklung, Clause 28 oder Gleichstellung für Lesben und Schwule heißen die widerstreitenden Optionen gesellschaftlicher Veränderung. Davor kann auch die Schwulenbewegung künftig nicht mehr wegtauchen. Man muß jetzt gesellschaftlich Erreichtes im Politischen verankern und versuchen, weiteres Terrain hinzuzugewinnen.
Dennoch, diese Debatte über Durchsetzungsstrategien war längst überfällig. Man kann nicht 20 Jahre lang eine gesellschaftliche Debatte nur mit Nebulösem und Halbrichtigem bestreiten:
Im Aufruf nordrhein-westfälischer Schwulengruppen zum diesjährigen Christopher-Street-Day heißt es zum Beispiel vollmundig: “... wir wollen keine Integration, die nur Diskriminierung abbaut, sondern echte Befreiung unserer Bedürfnisse von Fremdbestimmung und staatlichen Zwängen.“ Immerhin, und weiter: „Das heißt konkret: ... Abschaffung aller Vorzüge für Verheiratete im Steuer-, Erb- und Adoptionsrecht!“
Mit solchen pseudoradikalen Aufrufen wird in den Neunzigern kein Blumentopf zu gewinnen sein. So läßt sich allenfalls die Inkompetenz der selbsternannten Avantgarde schwuler Emanzipation dokumentieren. Die Abschaffung aller Vorzüge der Verheirateten schüttet das Kind mit dem Bade aus. Nur ein Beispiel: Überlebende EhegattInnen erhalten nach dem Tod ihres/seiner PartnerIn die zum ehelichen Haushalt gehörenden Gegenstände unabhängig von dem sonstigen Erbe als „Voraus“, damit sie ihren Haushalt auch nach dem Tode des/r PartnerIn weiterführen können. Eine Übertragung dieses Rechts auf schwule, lesbische oder heterosexuelle nichteheliche Lebensgemeinschaften wäre also durchaus sinnvoller als die Abschaffung des „Voraus“.
Angesichts von Aids sind für Schwule solche erbrechtlichen Probleme keine akademischen Fragen: Es kommt durchaus vor, daß Eltern, die die Homosexualität ihres Sohnes nie akzeptiert haben, nach dessen Tod ihre Erbansprüche rücksichtslos gegen seinen Lebensabschnittsgefährten durchsetzen. So kann dann zum Verlust des Partners, nach einer schweren Phase der Betreuung und Pflege, dem überlebenden Partner auch noch die Bude von den reizenden „Schwiegereltern“ ausgeräumt werden.
Dieses Beispiel zeigt, wie wenig mit den radikalen Phrasen der Schwulenbewegung in der politischen Praxis anzufangen ist. Statt die „gewöhnlichen Homosexuellen“ ob ihrer Unvollkommenheit bezüglich des schwulenbewegten Ehrenkodex zu geißeln, muß die Schwulenbewegung eine Politik entwickeln und durchsetzen, die Vorausetzung für eine breitere Emanzipation der Lesben und Schwulen schafft, weil sie eine tatsächliche Verbesserung ihrer rechtlichen und gesellschaftlichen Situation bringt.
Michael Schneidewind, Köln 1
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