: Status von Leibeigenen-betr.: "Der holde Wahn vom tollen Job", taz vom 5.7.89
betr.: „Der holde Wahn vom tollen Job“, taz vom 5.7.89
Frau Dessaives Aufsatz treibt einem die Tränen in die Augen
-natürlich hat sie recht: Aktenablegen ist stumpfsinnig, Büroarbeit ist häufig so auszuführen, daß man nur mit knapper Not an der Verblödung vorbei kommt, und die fehlende Solidarität der Kolleginnen ist mehr als nur enttäuschend. Aber diesen Zustand findet sie offensichtlich nur deswegen beklagenswert, weil eine „Studierte“ darunter zu leiden hat. Mir scheint, die Dame ist ein wenig hochmütig; warum sollte ein bißchen Herumstudieren ausreichen, um einen interessanten, gesellschaftlich angesehenen, gut bezahlten Job zu bekommen? Jede, die sich für eine Ausbildung entscheidet, kommt nicht umhin, zu überlegen, welche Einsatzmöglichkeiten es dafür gibt und welche Weiterentwicklung, wenn sie finanziell nicht auf Papi und Mami zurückgreifen will oder kann. Gewiß, ein Studium braucht nicht von Anfang an arbeitsmarktgerecht zweckdienlich zu sein, soll es auch gar nicht, wenn es irgend geht. Nur, bitte, nicht jammern, wenn das allein noch nicht genügt, um Frau vom gemeinen Fußvolk der nichtstudierten Frauen so vorteilhaft abzuheben, daß die Superjobs ganz von allein angeflogen kommen. Blödsinnige, verkalkte Hierarchien werden mit Hilfe dieser idiotischen Eitelkeit und Überheblichkeit noch untermauert. Um diese Strukturen aufzubrechen, wäre es hilfreich, ein Studium, selbst wenn es per se auf dem Arbeitsmarkt nicht einzusetzen ist, als persönliche Bereicherung zu betrachten, oder ist es erst dann etwas wert, wenn es als von der Gesellschaft honoriertes Privileg sichtbar gemacht wird? (...)
Ich finde es sehr schlimm, wenn eine Frau (ausgerechnet eine mit leicht feministisch angehauchter Schreibe) die Kluft, die im Berufsleben zwischen studierten und weniger „hochwertig“ ausgebildeten Frauen besteht, nicht einmal in Frage stellt, sondern als selbstverständlich zu betrachten scheint. Die Situation in den Büros ist für Frauen schon gräßlich genug, und es besteht nur geringe Aussicht auf Änderung. Das Bild der Tippse im Bleistiftrock, die sozusagen als Zweit/Arbeitsfrau für den Chef fungiert, ist kaum ersetzt worden. Da wir nicht alle Vollkornbäckerinnen, Tischlerinnen, Journalistinnen etc. werden können, wird es wohl auch immer Frauen in den verschiedenen Büroberufen geben, und gerade auf diesem Sektor haben wir nach wie vor kaum den Status von Leibeigenen verlassen (was von vielen Kolleginnen allerdings für völlig o.k. gehalten wird). Echte, qualifizierte Zusammenarbeit ist in den wenigsten Fällen möglich. Und dann kommt eine im Röckchen der gelehrten Magistra und spricht vom Arbeitsmarkt wie Frau D.
P.Herrera, Darmstadt
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