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Wehrdienst oder Kriegsdienstverweigerung?

Anmerkungen zur Situation des Christen im Atomzeitalter - vorgelegt von der Kammer für Öffentliche Verantwortung für den Rat der EKD  ■ D O K U M E N T A T I O N

Immer noch und immer wieder stehen Christen und stehen die Kirchen vor der Frage, welcher Beitrag zur Erhaltung und Gestaltung des Friedens zwischen Menschen und Völkern ihnen möglich und geboten ist. Die Zuspitzung der Frage im Zeitalter der Massenvernichtungswaffen erlaubt kein Ausweichen. Die friedensethische Urteilsbildung verlangt nicht nur theologische Sorgfalt, sondern auch eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der politischen Realität. Für die Friedenspolitik sind nicht nur die Träger eines politischen Mandats, sondern alle Bürgerinnen und Bürger verantwortlich.

In besonderer Weise betroffen sind in der Bundesrepublik Deutschland junge Männer, die ihren Wehrdienst zu leisten haben oder die von ihrem Recht auf Kriegsdienstverweigerung Gebrauch machen und Zivildienst leisten. Ihnen ist auferlegt, eine persönliche Entscheidung zu fällen, deren Gründe auch Gegenstand der friedensethischen und sicherheitspolitischen Diskussion in der Kirche und der Gesellschaft sind. Sie haben in unserem Land die rechtliche Möglichkeit, und damit die persönliche Verpflichtung, ihrem Gewissen folgend eine Entscheidung für den Wehrdienst oder für die Kriegsdienstverweigerung zu treffen. Die Kirche ist aufgerufen, ihnen in dieser Entscheidungssituation den Beistand der Seelsorge zu leisten. Das verlangt von ihr, sich auf die Härte der Probleme und das Leiden an den Widersprüchen der politischen Wirklichkeit einzulassen. Es geht in dieser Entscheidungssituation nicht nur um eine Frage der persönlichen Gewissensentscheidung, sondern ebenso um die damit für jeden einzelnen unlösbar verbundene politische Urteilsbildung.

In jüngerer Zeit ist innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland mehrfach die Auffassung vertreten worden, die Kriegsdienstverweigerung sei gegenüber dem Wehrdienst als das „deutlichere Zeugnis“ oder „deutlichere Zeichen“ eines Christen anzusehen. Diese Rede vom „deutlicheren Zeugnis“ will als Ausdruck eines auf die Einheit von Glauben und Handeln bedachten Gewissens theologisch ernst genommen werden.

(...) Das mit einer politischen, militärischen und technologischen Lagebeurteilung der Gegenwart begründete Reden vom „deutlicheren Zeugnis“ der Verweigerung des Waffendienstes, die als „relativ christlicher“ anzusehen sei, wurde vielfach als Ausgrenzung der Wehrdienstleistenden verstanden. Verschiedene Sprecher sehen darin ein nicht beabsichtigtes Mißverständnis. Die Notwendigkeit eines „ethischen Komparativs“ in der Friedensfrage ergebe sich aus der mit dem herrschenden System nuklearer Abschreckung verbundenen Rüstungssteigerung. Wenn die Verweigerung des Wehrdienstes als „deutlicheres Friedenszeugnis“ der Christen bezeichnet werde, so richte sich die Aussage nicht gegen Soldaten, sondern unterstreiche die Absage an Geist, Logik und Praxis der Abschreckung. Im Vergleich mit anderen Handlungsweisen werde aber ein für Christen notwendiges und deutliches, das heißt in der Wertung „deutlicheres“, Zeichen gesetzt. (...)

Als Christen leben wir in der Spannung zwischen Friedenszusage Gottes und Friedlosigkeit unserer menschlichen Gegenwart. Wir müssen diese Spannung aushalten, aber wir können sie nicht auf sich beruhen lassen. (...)

Die Christen bewegen sich wie alle Menschen mit ihren politischen Entscheidungen und Taten in einem Bereich, der häufig eindeutige Aussagen über Ursachen und Folgen nicht zuläßt. Auch wo wir der Richtungsweisung des Friedensgebots Gottes zur Friedensaufgabe in der Welt folgen, ist im Blick auf die Mittel und Wege nur selten eine Unterscheidung von Falsch und Richtig möglich. In der Regel können wir nur zwischen Besser und Schlechter unterscheiden. (...)

Im Umgang mit militärischer Macht geraten Christen in ein Dilemma: Um des Wohls der Menschen willen können sie dem Staat nicht die Preisgabe seines Schutzauftrags anraten; um des Wohls der Menschen willen können sie aber auch nicht mehr Krieg als Mittel der Politik ansehen. Entscheiden sie sich für den Waffendienst, um Recht und Frieden zu schützen und dem von Gewalt bedrängten Nächsten Nothilfe leisten zu können, tun sie es im Wissen um die Distanz menschlichen Handelns gegenüber dem göttlichen Friedensgebot. (...)

Das Zeugnis der Gewaltlosigkeit, das wir aus dem Evangelium hören, und die Mittel der Gewalt, die unsere politische Realität noch immer bestimmen, setzen uns der härtesten Anfrage an unser Tun und Lassen aus. Der persönliche Verzicht auf Gewalt kann ein präziser Ausdruck christlichen Friedenshandelns sein. Andererseits kann ein Christ seine Bereitschaft, sich mit militärischer Macht an der Abwendung von Gewalt zu beteiligen, als unabdingbaren Teil einer politischen Konfliktlösung begreifen: Die Bereitschaft zum Einsatz militärischer Macht trägt dazu bei, daß der Weg des Friedenshandelns zur politischen Überwindung der Gewaltsamkeit offenbleibt und die Völker den Weg zum friedlichen Umgang miteinander finden. Der Soldat stellt sich in die Paradoxie der gegenwärtigen Weltsituation. Der Kriegsdienstverweigerer hält das Bewußtsein wach, daß diese Situation nicht dauern darf. Diese Spannung auszuhalten und auszutragen, bis die Institution des Kriegs überwunden ist, ist ein Friedensdienst, den Christen leisten können.

Im Dilemma der gegenwärtigen historischen Situation zwischen dem Ziel der Gewaltfreiheit und der Schutzbedürftigkeit von Recht und Frieden gegen Gewalt ist die Kirche nicht in der Lage, einem der angebotenen Wege zur Erhaltung des Friedens und zum Schutz des Lebens des Nächsten den Vorzug zu geben und die von manchen gewünschte eindeutige Entscheidung für einen generellen Gewaltverzicht im Sinne der historischen Friedenskirchen zu fällen. Die Sachlage ist bei anderen ethischen Streitfragen unter Umständen eine andere, und auch im Blick auf die Entscheidung zwischen Gewaltfreiheit und Bereitschaft zur Anwendung militärischer Macht kann sich die Kirche in einer bestimmten Situation genötigt sehen, eindeutig zu operieren. Aber die Kirche verfügt weder über das Wissen noch über die Macht, das genannte Dilemma für aufgelöst zu erklären. Der Charakter unserer Kirche als einer Kirche des Friedens zeigt sich dort, wo sie das Friedensangebot Gottes verkündet und ihren Beitrag zu dem den Menschen möglichen Frieden leistet. (...)

Welche Entscheidung der Christ auch fällt, ob für den Weg des Soldaten oder für den Weg des Kriegsdienstverweigerers: Es darf nicht sein, daß der eine für sich eine höhere Qualität von Christsein in Anspruch nimmt oder gar dem anderen das Christsein abspricht, weil er eine andere Position vertritt. Vielmehr muß es darum gehen, das Gespräch zu suchen und miteinander um Verständigung zu ringen. (...)

Junge Männer müssen heute eine individuelle Entscheidung für Wehrdienst oder Kriegsdienstverweigerung treffen. Aufgabe der Kirche ist es, darauf hinzuweisen, daß diese Entscheidung in beiden Fällen vor dem Gewissen zu verantworten ist. Die Kirche muß das Gespräch zwischen Wehrdienstleistenden und Kriegsdienstverweigerern immer wieder neu ermöglichen und dabei unablässig an die Verantwortung erinnern, die das Friedensangebot Gottes uns allen auferlegt: denen, die als Kriegsdienstverweigerer im Zivildienst ihre Verantwortung für die Gesellschaft wahrnehmen, ebenso wie denen, die zur Verteidigung von Recht und Freiheit Wehrdienst leisten. Die Kirche muß ferner die politisch Verantwortlichen in unserem Staat daran erinnern, den Wehrdienst und den Auftrag der Bundeswehr ausschließlich am Ziel der Friedenssicherung auszurichten und den Zivildienst so zu gestalten, daß der Friedenswille junger Menschen seinen Ausdruck finden kann. (...)

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