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Huchting 3 Monate nach Hitlers Geburtstag

■ Skins haben Auftrieb / „Türken raus„-Aufnäher auf Schulhof verboten / GymnasiastInnen luden Scherf

Im Schulzentrum „Am Willakedamm“ in Huchting gab der liberale Rektor den SchülerInnen kürzlich zwei Blätter mit nach Hause, die sie von ihren „Erziehungsberechtigten“ unterschreiben lassen sollten. Auf den beiden Blättern stand zu lesen: „1. Es ist verboten, irgendwelche Waffen oder waffenähnliche Gegenstände ( Leuchtspurpistolen, Schlagringe, Wurfsterne, Sprühgas, Schlagstöcke...) mit zur Schule zu bringen. 2. Schüler(innen) dürfen in der Schule keine Abzeichen, Symbole, Aufkleber, Anhänger, Aufnäher, Plaketten haben, die andere Menschen beleidigen, verletzen und evt. zu Gegenreaktionen herausfordern...“

Damit wollte er „kein Kesseltreiben gegen unsere Skins“ auslösen, erläuterte Rektor Dr. Vogt

gestern der taz: „Aber die Schule wollte Farbe bekennen, sich nicht immer wie Gummi verhalten.“ Aufnäher mit „Türken Raus“ gehörten nun mal nicht auf das Schulgelände. Einmal schon ist die Schule geduckt in die Defensive gegangen, und das soll, wenn es nach dem Rektor geht, nicht nochmal passieren: Vor zweieinhalb Monaten, am 20. April 1989, als halb Huchting Gerüchten Glauben schenkte, an Hitlers hundertstem Geburtstag, würden tausende Skinheads anrücken und türkische Einwohner „plattmachen“ - da war der Angst nachgegeben worden, da waren die SchülerInnen angewiesen worden, in den Pausen nicht den Schulhof zu betreten. Diese Panik und Hysterie, in die Huchting sich durch Gerüchte hatte treiben lassen, gab den Skins gekoppelt mit

den Wahlergebnissen der Republikaner vor Ort Auftrieb. Zahlreicher und selbstbewußter stiefeln sie seither über den Schulhof.

„Ständig alle paar Tage“ ist nicht nur am Willakedamm was los. Da werden übers Wochende den flauschigen Enten-Jungen die Hälse umgedreht. Da werden Schüler von Skins vom Fahrrad geholt und haben nachher „Strangulationsmerkmale“ am Hals. Da werden Mitglieder einer Schüler-Band von Skins auf dem Nachhauseweg krankenhausreif geschlagen, weil sie es trotz einschlägiger Drohungen gewagt hatten, mit ihrem Lied über die „Braune Soße“ auf den Jugend-Kulturtagen aufzutreten. Da kreuzen über vierzig -Skins auf dem Rockkonzert auf, liefern sich eine Keilerei nach der anderen und überziehen den Saal über Stunden mit füde

ster Gewalt. Da suchen alte Nazi-Männer aus den neuen Parteien Kontakt zu den glatzköpfigen Youngsters. Am Willakedamm, da kommen aber auch mal Skins verschüchtert ins Lehrerzimmer, weil sie Schutz suchen vor älteren türkischen Jugendlichen.

Die Gymnasialklasse 10r macht sich seit dem denkwürdigen 20. April Gedanken über die zwanzig Skins auf dem Schulhof. Doch als die Klassenlehrerin vorschlug, Skins in den Unterricht zum Diskutieren zu bitten, lehnten sie ängstlich ab: „Die Skins werden uns hinterher auf dem Nachhauseweg verprügeln“.

Gestern hatten die SchülerInnen aus der 10r Sozialsenator Henning Scherf zu Gast. Der hatte spontan ihre Einladung angenommen. Für die GymnasiastInnen ist klar: Skins kommen aus sozial abgerutschten Familien, aus Haupt-, und Sonderschulklassen. Und Huchting, das ist eine Schlafstadt, wo für Jugendliche nicht viel läuft. Deshalb braucht Huchting ein „zweites Modernes“ als Veranstaltungszentrum. Und deshalb braucht Huchting Sozialarbeiter, am besten für „jeden Block einen“, die dafür sorgen, daß in den „sozial schwachen Familien“ weder Skinheads noch Kriminelle entstehen. „Das stört mich, dieses Denken: Schafft mir einen Sozialarbeiter ran, damit der uns die

Probleme vom Hals schafft“, ent

Hier den Hern mit Zeigefinger in der Nase

Henning Scherf im

nachdenklichen Einsatz

gegen Neonazis

gegnet der Sozialsenator: „Die Rechten rufen nach der Polizei, die Linken nach den Sozialarbeitern.“ - Die GymnasiastInnen einigen sich mit dem Senator darauf, demnächst mit denjenigen Altskins zusammenzutreffen, zu denen des Senators einziger dafür zuständiger Sozialarbeiter vorsichtige Kontakte aufgebaut hat.

B.D.

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