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Sagen Sie's den Bullen

■ Ein Gespräch mit Spike Lee über seinen Rassismus-Film „Do the right thing“ und über den nächsten, in dem es um Drogen geht

Marcia Pally

Marcia Pally: Sprechen wir über den Schluß von „Do the Right Thing“: Finden Sie, daß spontaner Aufruhr den Schwarzen nützt?

Spike Lee: Es gibt ganz klar einen Zeitpunkt für Gewalt: wenn nämlich eine wichtige Grenze überschritten wird. Was tat die US-Regierung mit Gaddafi? Er überschritt diese Grenze und wir rückten ihm auf den Pelz. Man kommt heutzutage nicht weit, wenn man die andere Wange hinhält. Die Schönheit von Do the Right Thing liegt darin, daß wir sowohl Martin Luther Kings Ansichten zur Gewaltlosigkeit wie auch die Auffassung von Malcolm X von der Notwendigkeit der Gewalt beim Kampf gegen den Rassismus hineinbrachten. Malcolm X nannte es noch nicht einmal Gewalt; unter bestimmten Umständen, sagt er, ist es Schutz und Klugheit. Ich persönlich stehe eher auf der Seite von Malcolm X. Das gilt heute wohl für die meisten jungen Schwarzen.

Was bringt es, die Pizzeria ums Eck niederzubrennen?

Katharsis. Ich weiß, daß die schwarzen Viertel bei Aufruhr am meisten abkriegen. Die Häuser, die bei Rassenunruhen niedergebrannt wurden, liegen in manchen Städten heute noch in Trümmern. Aber es gibt einfach einen Punkt, da gehen die Leute hoch. Warum sind die Schwarzen in Miami wohl beim Endspiel wild geworden? Die Polizei hielt zwei Jungens an, sie hörten über das Radio, sie würden wegen irgendwas gesucht, also bliesen sie dem einen den Kopf weg. Wunderbar gewählt, der Zeitpunkt. Wenn es beim Endspiel kracht, ist in Amerika der Nerv getroffen. Ich kann mir vorstellen, wie die Leute da unten Reagan anriefen und sagten, hey, es ist Endspiel, Sie müssen was gegen diese Nigger unternehmen.

Was sollen Schwarze denn tun? Sie haben allen Glauben an das Rechtssystem verloren. Sie haben zu lange mitangesehen, wie Schwarze ermordet werden - das fing mit Eleanor Bumpers an -, und die Polizei kommt ungestraft davon. Meine Sympathie gehört eindeutig der Figur in meinem Film, Mookie, der einen Mülleimer durch das Fenster von Sals Pizzeria schmeißt, nachdem die Bullen einen schwarzen Jungen umgebracht haben.

Sal ist der typische nette Rassist von nebenan, der die Schwarzen mag, soweit er sie persönlich kennt.

Das stimmt. Danny (Aiello), der die Rolle des Sal spielt, wollte nicht mal zugeben, daß Sal überhaupt ein Rassist ist. Wir hatten lange Gespräche darüber.

Hätte es mehr gebracht, auf die Polizisten loszugehen?

Die waren abgehauen. Sie ließen Sal stehen, um ihre eigenen Ärsche in Sicherheit zu bringen und ihre Geschichte abzusprechen, wie der Junge starb, den sie umgebracht hatten.

Ist es realistisch oder wahrscheinlich, daß Polizisten einen Jungen zu Tode würgen wegen einer Schlägerei um ein Radio?

Das ist der Michael-Stewart-Würgegriff, so wurde Stewart letztes Jahr von der Polizei umgebracht. Nur daß ich die Augen des Jungen nicht aus den Höhlen treten ließ, wie es bei Stewart war. Wir hätten eine Szene drehen können, wo der Leichenbeschauer versucht, die Augen in die Höhlen zurückzudrücken, wie sie es bei Stewart machten, damit sie sagen konnten, er wäre an einem Herzstillstand gestorben. Die Polizei brauchte nie zu erklären, warum acht Mann über einen Jungen von 150 Pfund herfallen mußten, und keiner von ihnen ging ins Gefängnis.

Rassismus ist eine Sache der Weißen. Sie müssen sich ändern, nicht wir. Sie müssen damit anfangen, Schwarze als Menschen zu begreifen. Wie war es denn in Howard Beach? Die Weißen haben Schwarze angegriffen und bekamen einen Klaps auf die Finger, aber bei dieser Vergewaltigung im Central Park, wo schwarze Jungens eine weiße Frau angriffen, steht jeder auf den Barrikaden. Schon die Berichte sind so rassistisch. Bürgermeister Koch nennt sie „Wilde“ und „Tiere“, die Zeitungen bezeichnen sie als „umherstreifendes Wolfsrudel“.

Was an der Vergewaltigung im Central Park so verwirrend ist: diese Jungen kamen alle aus „guten“ stabilen Verhältnissen. Was läuft da ab?

Ich weiß nicht. Es ist eine schreckliche Tragödie, das wissen wir alle, ich habe einfach keine Antwort. Aber wenn sie eine schwarze Joggerin vergewaltigt hätten, dann wäre in der Presse niemals eine solche Aufregung entstanden. Die Redakteure würden denken, ach, da bringen nur mal wieder Nigger andere Nigger um.

Die Gewalt in Ihrem Film ist Protest gegen Rassismus, aber über diese Art von Gewalt macht sich heutzutage kaum jemand Sorgen, weder Schwarz noch Weiß. Die meisten Leute fühlen sich bedroht von willkürlichen Straßenverbrechen und von Gewalt im Zusammenhang mit Drogen.

Wenn wir über Drogen sprechen wollen - und die meisten Verbrechen heute passieren wegen Drogen, so schlimm war es noch nicht einmal bei Heroin, jetzt geht es um Crack - dann müssen Sie fragen, warum diese Zustände herrschen. Sie können die Verbrechen nicht isoliert sehen.

Ich werde oft gefragt, warum in Do the Right Thing keine Drogen vorkommen. Natürlich gibt es in Bedford -Stuyvesant jede Menge Drogen, aber wenn ich diesen Aspekt auch noch in den Film gepackt hätte, wäre das Thema der Spannungen zwischen den Rassen abgeschwächt worden. Ich werde nächstes Jahr einen Film über Drogen machen, aber Rassismus ist für einen Film völlig ausreichend. Dieser Film zeigt schwarzes Menschsein, was ihn von Filmen wie Fort Apache unterscheidet, wo die Schwarzen überhaupt nicht menschlich waren.

Sprechen wir von Ihrem Film über Drogen. Die Weißen nehmen mittlerweile weniger, bei den Schwarzen und Leuten spanischer Abstimmung geht die Kurve nach oben.

Drogen waren immer eine Klassen- und Rassenfrage. Erinnern Sie sich an den Paten, wo die Mafia zum ersten Mal ins Drogengeschäft einsteigt, und sie sagen: Verkaufen wir's den Niggern, das sind sowieso nur Tiere.

Es ist kein Zufall, daß Drogen in schwarze und spanische Viertel gepumpt werden. Leute unter Drogen können nicht mehr klar denken, können nicht mehr auf ihren zwei Beinen stehen. Aber Zehn-Dollar-Crack-Köpfe zu verurteilen, ist lächerlich. Wir müssen an die Quelle. Man kann die Drogen auch nicht Kolumbien oder Mittelamerika zum Vorwurf machen, die Leute sind hier korrupt, in diesem Land, bis in die höchsten Ebenen der Bundesregierung. Wenn wir das Drogengeschäft wirklich stoppen wollten, dann könnten wir das auch, aber es läßt sich zuviel Geld damit machen.

Der Film wird davon handeln, wie sich Drogen auf Kinder unter 15 auswirken. Die Gewalt, wie sich die Kinder gegenseitig mit Maschinenpistolen umbringen, das wird alles drin sein. Das kannte ich noch nicht, als ich zur Schule ging. Wir haben uns mit den Fäusten geprügelt, wir hatten keine Uzis. Das passiert wegen der Drogen, aber auch wegen Film und Fernsehen. Die Kinder sehen, wie im Fernsehen die Revolver eingesetzt werden, sie wachsen damit auf.

Wir sahen auch Revolver im Fernsehen, als wir klein waren, und wir hätten nie daran gedacht, richtige zu nehmen.

Aber jetzt kriegt man richtige. Warum soll man eine Spielzeugpistole nehmen, wenn man eine richtige kriegen kann?

Weil man damit töten kann.

Das bedeutet diesen Jungen nicht viel. Soweit sind sie inzwischen. Sie sehen diese Art von Gewalt ständig um sich.

Wenn Sie in ihrem Film zeigen, wie Kinder Gewalttaten begehen, wird das zur Lösung des Problems beitragen?

Ich weiß, daß das eine Gratwanderung ist, und wenn ich Gewalt zeige, könnte man mir vorwerfen, daß ich dazu beitrage. Ich will nicht, daß Kinder das nachmachen, was sie in einem Film sehen, deshalb muß ich sehr genau darüber nachdenken, damit mein Standpunkt unzweideutig wird. Man darf aber nicht zweideutig sein, man muß zeigen, wie wahnsinnig diese Gewalt ist.

Glauben Sie, daß schwarze Teenager den Aufruhr am Schluß von Do the Right Thing nachmachen könnten?

Nein, oder ich hoffe jedenfalls, daß sie es nicht tun. Sagen Sie den Bullen, sie sollen diesen Sommer keine schwarzen Kinder umbringen, und sagen Sie nicht mir, ich sollte meinen Film nicht machen. Die Leute sind lange vor diesem Film auf die Straße gegangen, aus Gründen, die es seit langem gibt. Ich sehe nicht ein, warum plötzlich dieser Film ein Grund dafür sein soll.

Sie sagten, Aufruhr sei kathartisch, aber damit kriegt man die schwarzen Menschen nicht aus dem Ghetto.

Das erwartet ja auch niemand. Dafür müssen wir Schwarze unsere eigene wirtschaftliche Basis schaffen, unsere eigenen Geschäfte haben, uns selbst versorgen. Eine der besten Szenen in dem Film ist die, wo die schwarzen Männer über den Koreaner mit dem Obst- und Gemüsestand sprechen. Sie sind gerade erst vom Schiff gekommen, und schon gehört ihnen jeder Obststand in der Stadt. Wie können sie das, wo den Schwarzen doch überhaupt nichts gehört? Die Koreaner müssen schon Geld mitgebracht haben, als sie herkamen.

Ich glaube nicht, daß Schwarze keinen Geschäftssinn haben, und ich glaube auch nicht an eine Verschwörung der Weißen, uns aus allem fernzuhalten. Ich weiß, daß die Juden da nicht zustimmen werden, aber das schlimmste Verbrechen der Geschichte war die Sklaverei, und die Schwarzen fühlen noch immer ihre Auswirkungen. Es wird noch lange dauern, bis wir es überwunden haben, daß wir unserer Kultur beraubt wurden, daß man unsere Familien auseinanderriß. Aber die Sklaverei ist auch kein Alibi.

Viel zu lang haben die Schwarzen für alles den Weißen die Schuld gegeben - das ist Quatsch. Wir halten uns selbst zurück. Ich wußte, daß es hart werden würde, Filmemacher zu werden, aber ich konnte mich nicht einfach hinstellen und sagen, ich versuche es erst gar nicht. Wenn man sich die Geschichte ansieht, erkennt man, daß Menschen wie Harriet Tubman und Paul Robeson durch die Hölle gehen mußten. Für mich ist es heute viel leichter, also warum soll ich mich beklagen? Meine Generation war die erste, die ohne Rassentrennung aufwuchs. Wir haben Möglichkeiten und Privilegien, für die eine Menge schwarzer Menschen gestorben sind, und wenn sie mitansehen könnten, wie wir mit Füßen treten, wofür sie gestorben sind, würden sie im Grab kotzen.

Warum schaffen es manche, die Möglichkeiten zu nutzen und herauszukommen?

Es gibt immer ein paar, die gegen den Strom schwimmen, die mit einem besonderen Antrieb, die noch beide Eltern haben, die von dem Kram im Viertel abgeschirmt werden, die davor beschützt werden oder mit der Straße nicht in Berührung kommen. Wenn man mit schwarzen Sportlern spricht, die es geschafft haben, hört man immer wieder, daß es in der Schule oder im Viertel Kinder gab, die bessere Sportler waren, aber auf Abwege kamen.

Wie war es bei Ihnen? Was trieb Sie an?

Mein Elternhaus. Wenn Ihre Mutter bei Ihrer Geburt 16 wäre, und deren Mutter bei ihrer Geburt auch 16, und Ihre Familie lebt seit zwei oder drei Generationen von der Fürsorge, und Sie kommen mit nichts anderem in Berührung als dem, was Sie um sich sehen, dann wissen Sie noch nicht einmal, daß es da draußen etwas gibt, wofür es sich zu arbeiten lohnt. Mein Vater war Jazzmusiker, meine Mutter unterrichtete Englisch und Kunst, daher lernte ich eine ganz andere Welt kennen wir alle. Meine Schwester spielt in Do the Right Thing mit, mein Bruder machte die Standfotos und mein Vater die Musik.

Und wie ist das mit Kindern ohne Ihren Hintergrund?

Es gibt so viele Faktoren, die zusammenkommen müssen, damit ein Kind es versucht. Kinder können nicht lernen, wenn ihr Frühstück aus Kartoffelchips und Coca Cola besteht. Die Ernährung hängt mit der Schule zusammen, die hängt mit der Selbstachtung zusammen, die hängt mit Arbeitsplätzen zusammen, die hängen mit Selbstachtung zusammen.

Ist Bildung die Lösung?

Wir brauchen ökonomische Veränderungen ebenso sehr wie Bildung. Warum sollen Teenager zur Schule gehen und nachmittags für ein paar Groschen bei McDonald's arbeiten, wenn sie ihre Freunde in einem Mercedes sehen, den die bar bezahlt haben.

Geht es darum, schwarze Teenager zu überzeugen, daß sie mit einer guten Ausbildung anständige und gutbezahlte Arbeitsplätze kriegen?

Sie wollen keine anständigen Arbeitsplätze. Sie wollen einen Haufen Geld. Es ist eine Frage ihres Wertesystems, das ist völlig durcheinander. Das müssen wir zeigen: All das Geld ist nicht die Antwort, es bedeutet nicht alles.

Was halten Sie von der Politik von Joe Clark (Direktor der Eastside High School)? In 'Time‘ wurde er zitiert, er sei gegen gemeinsame Schulbusse, weil er nicht glaube, Schwarze müßten neben Menschen aus einer anderen Rasse sitzen, um zu lernen.

Ich war auf einem vorwiegend schwarzen College und niemand hatte Schwierigkeiten mit dem Lernen. Die Eltern machen sich Sorgen, ob ihre Kinder was lernen, aber nicht die Schulen. Wenn sie es wirklich täten, müßte mehr dabei herauskommen. Das ist schon ein Problem, das ich mit Clark habe. Er sagt, wenn du nicht lesen kannst, bist du draußen. Aber was machen wir dann mit all den Kindern, die es nicht können? Sind sie die ewige Unterklasse?

Welche Rolle sollte die schwarze Mittelklasse spielen?

Sie müssen eine ganze Menge mehr machen. Bisher sind sie nur in die Vorstädte gezogen und haben sich von den Unterklasse-Schwarzen entfernt. Sie müssen ein echtes Interesse zeigen, Stiftungen einrichten, freiwillige Arbeit leisten, schwarze Geschäfte gründen. Es gibt genug für sie zu tun, sie müssen nur damit anfangen.

Was hielten Sie davon, wie Clark in „Lean on Me“ dargestellt wurde?

Ich mag den Film nicht, obwohl Morgan Freeman großartig war. Es war unechter, formelhafter Hollywood-Papp. John Avildson hat die Regie gemacht, und er hat den Schluß von Rocky mittlerweile viermal gemacht, erst in Rocky, dann zweimal in der Serie vom Karate Kid und jetzt wieder. Ich hasse das. Wir sollten dem amerikanischen Publikum mehr zutrauen.

Die Leute werden irregeführt, sie werden immer wieder mit der gleichen Sorte Film abgefüttert, bis sie denken, am Schluß eines Films müsse alles in Ordnung sein und alle sind fröhlich. Wenn man ihnen lange genug Scheiße vorsetzt und ihnen erzählt, daß es keine Scheiße ist, glauben sie das schließlich. Es sieht aus wie Scheiße, schmeckt wie Scheiße, aber es ist keine. Ich glaube, da steckt ein Film drin.

Aus dem Amerikanischen von Meino Bünin

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