: Kredite gegen Köpfe!
Sollen Sanktionen gegen China verhängt werden? ■ D E B A T T E
Uns wird erzählt - Richard Nixon (in 'Newsweek‘) allen voran -, daß Sanktionen nie „klappten“. Das war gewiß der Fall beim kubanischen Embargo 1961 und beim Weizenboykott nach der Intervention in Afghanistan. Aber es trifft schon nicht mehr zu auf das rassistische Rhodesien, das sich unter dem Druck von außen von Ian Smith trennen mußte; ebensowenig auf das Polen Jaruzelskis, dessen Führer wiederholt zugegeben haben, daß die Sanktionen sie 15 Milliarden Dollar gekostet hätten. Auch das Einfrieren der iranischen Guthaben in den USA durch Carter hat letztlich zur Freilassung der Geiseln in Teheran geführt.
Man sagt uns, daß China weniger verletzlich gegenüber wirtschaftlicher Erpressung sei als andere Länder, weil es nur einen kleinen Teil des Welthandels ausmacht und deshalb geschützt sei. Das traf zu auf die Situation vor zehn Jahren. Es stimmt heute nicht mehr. Auch wenn Pekings Außenhandel in der Tat noch archaisch ist und Tauschhandel oft dem komplizierteren Gebrauch von Sonderziehungsrechten vorgezogen wird, so hat er nichtsdestotrotz mittlerweile ein Niveau erreicht, das dem anderer Kontinentalstaaten vergleichbar ist. Kappt Deng doch seinen Export von Metallen! Gebt ihm den Stopp von Ölförderungs-Technologie bekannt! Ich glaube kaum, daß sein Zynismus dadurch nicht erschüttert würde.
Wiederholt wurde gesagt, daß China eine „Festung“ sei, daß es Geschmack an der „Autarkie“ gefunden hätte und einem ökonomischen Bann beruhigt entgegensehen könnte. Das mag wohl für die Landesteile zutreffen, die nicht von den Wirtschaftreformen betroffen sind. Aber es ist falsch für die Zonen, die von den „Vier Modernisierungen“ fast auf den Entwicklungstand von Taiwan und Hongkong gebracht worden sind.
Ich habe diese „Wirtschaftssonderzonen“ besucht. Ich habe dieses sonderbare andere China im China gesehen, das Teil des Weltmarkts ist. Dieses China hat nicht mehr viel gemein mit dem der Mandschu-Kaiser. Ich bin mir sicher, wir würden seine führenden Politiker in Unannehmlichkeiten bringen, wenn wir plötzlich die Aufkündigung der Kredite, der industriellen Projekte und Technologietransfers beschließen würden, die ihnen heute zukommen.
Die Gegner von Sanktionen argumentieren, daß Privatunternehmen frei seien und keiner das Recht noch die Kompetenz hätte, ihnen zu untersagen, mit Partnern ihrer Wahl zu verhandeln. Theoretisch trifft das zu. Aber nicht in der Praxis. Denn kein Experte bestreitet heute, daß sich ohne den Anreiz, die Unterstützung und Garantie des Staates ein Unternehmen sich auf den chinesischen Markt gewagt hätte. Finanzminister Beregovoy ist zwar nicht in der Lage, „Total“ oder „Peugeot“ zu verbieten, ihre Projekte durchzuführen. Aber er kann Einfluß nehmen auf (das staatseigene Außenhandelsunternehmen) Coface und die staatlichen Banken; er verfügt über Handlungsspielraum bei den Subventionen, Rückversicherungskrediten und Vorzugsdarlehen jeder Art, die von jetzt an einem Wohlstandstransfer an ein Mörderregime gleichkommen. (...)
Werden diese Pressionen nicht den perversen Effekt haben so ein anderes Argument -, sich gegen ihre Urheber zu wenden? Und sollte man wirklich ein Land „isolieren“, das durch eine Behandlung als Aussätziger nur noch mehr entfesselt würde? Das war 1935 die These der Gegner von Sanktionen gegen Italien. Das war das Argument (1938) in München derer, die „den Kontakt aufrechterhalten“ wollten mit Nazideutschland. Heute, wo Studenten und Arbeiter massenweise exekutiert werden, fürchte ich, daß dieses Argument nur ein Alibi für diejenigen Gewissen ist, die schon einen Strich unter ihre Trauer um die Toten von Peking gezogen haben und die Solidarität mit einem Volk mit der Komplizenschaft mit seinen Schlächtern verwechseln. Denn was verlangen denn die Lebenden von uns? Sanktionen und abermals Sanktionen. Das sei die einzige Sprache, sagen sie, die die Clique der Despoten um Deng Xiaoping noch in der Lage sei zu verstehen.
Soll ich hinzufügen, daß die jetzige Regierung in China genau der Typ eines „Risikoregimes“ ist, dem die Investoren normalerweise aus dem Weg gehen und dessen Lebenserwartung nicht länger sein wird als diejenige seiner morbiden achtzigjährigen Führer? Das mag stimmen oder nicht. Aber es passiert nicht jeden Tag, daß ein wohlverstandener Realismus sich mit der Moral verträgt, als daß ich mir diese Bemerkung verkneifen könnte.
Sollen sich die westlichen Bankiers und Industriellen nur weiterhin lustig machen über unsere Proteste. Aber sie sollen sich auch darüber klar werden, daß sie in jeder Hinsicht das China von morgen aufs Spiel setzen zugunsten des Chinas von heute, daß sie aber ihre Geduld doppelt belohnt sehen werden: als Ehrenrettung und hinsichtlich ihrer längerfristigen Interessen. Einer Sache bin ich in jedem Fall sicher: es ist vor allen anderen an den Geschäftleuten, das Massaker zu stoppen oder zu bremsen. Kapital gegen Recht. Kredite gegen Köpfe.
Aufrechter Geldgeber - verzweifelt gesucht.
Bernard-Henri Levy, entnommen dem Pariser Nachrichtenmagazin 'Le Point‘ übernommen.
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