Paris, Hauptstadt der Welt

Frankreich rüstet sich zur 200-Jahr-Feier der Revolution / Noch einmal schaut die Welt auf Paris: die Stadt, in der die moderne Geschichte ihren Ausgang nahm  ■  Aus Paris Georg Blume

Das Fieber steigt. Ein Hauch von Festluft liegt über der Stadt. Drei Tage lang will Paris noch einmal das Zentrum der Welt sein. Ruhiger als sonst rollt der Verkehr. 30.000 Polizisten haben sich in der Stadt versteckt. Anderthalb Millionen Touristen und 35 Staatschefs sind erwartet. Alles wartet auf den Moment, an dem die Feier endlich losgeht.

Vor zweihundert Jahren war das Volk der König, heute ist es Mitterrand. Das Volk verweist er in die hinteren Reihen oder vor den Flimmerkasten. Zur Eröffnung der Volksoper auf der Bastille am heutigen Abend, zur traditionellen Militärparade und zum großangekündigten Karnevalsumzug „der Völker des Planeten“ am 14.Juli hat Mitterrand seine zahlreichen Gäste geladen. Die meisten Franzosen aber wird das nicht stören. Ihr Revolutionsfest, den „größten Ball der Welt“, werden sie heute abend - auf allen Marktplätzen zwischen Straßburg und Bayonne - auch ohne den König feiern. Und tanzen werden sie nicht allein: In vielen Hauptstädten Europas, in Hongkong, New York und Rio geben sich die „Citoyens du monde“, die Weltbürger und Erben der Revolution, ihr Stelldichein.

Der Blick auf Paris soll niemandem die Augen trüben. Drei seiner schönsten Bauwerke will Mitterrand der Welt vorzeigen. Zum Weltwirtschaftsgipfel lädt er deshalb unters Dach der neuen Louvre-Pyramide und auf den Triumphbogen des Mitterrand-Zeitalters, den gigantischen „Arche de la Defense“. Zuvor weiht man heute auf der Bastille die „Volksoper“ ein, als gelte es, mit der alten Pariser Oper ein letztes Symbol der Aristokratie zu zerstören. Darin liegt die Finesse Mitterrands. Im Volksgewand stürmt der König die Bastille.

Die hatten andere in dieser Woche vor ihm eingenommen. Die Botschaft der 200.000 Anti-Gipfeldemonstranten vom Wochenende hat Mitterrand aber offensichtlich verstanden. Schnell nahm er noch in dieser Woche letzte Protokollveränderungen vor. Den Staatschefs aus reichen und armen Ländern hatte man am 14.Juli getrennt und an verschiedenen Orten das Festmahl reichen wollen. Bush, Thatcher und Kohl hätten darauf bestanden. In letzter Sekunde entschied Mitterrand, daß man zumindest gemeinsam in einem Hause speise. Auch strich er das Gala-Diner am 15.Juli in Versailles gänzlich vom Festprogramm. Vielleicht ist ihm eingefallen, daß in Versailles vor 200 Jahren nicht gerade das Volk zu Tische saß.

Größte Hoffnungen setzen die Festorganisatoren in die „große Parade der Völker des Planeten“ - die „einzige wirklich originelle Idee der Feierlichkeiten“, wie die Tageszeitung 'Liberation‘ behauptet. Sie ist am Freitag abend auf unseren Bildschirmen zu sehen. Zur Generalprobe des Vielvölkerkarnevals auf den Champs Elysees erhob Opernstar Jessie Norman bereits zu Fortsetzung auf Seite 2

nächtlicher Stunde auf der „Place de la Concorde“ ihre Stimme - bevor sie am Freitag die „Marseillaise“ für alle Fernsehanstalten der Welt anstimmt. Wer singt noch mit?

Jedenfalls nicht der Kardinal. Damals nicht und heute nicht. „Kardinal Lustiger wird nach seiner Rückkehr aus den USA am 13.Juli zu müde sein, um sich tags darauf außer Haus zu begeben“, teilte sein Sekre

tariat dem Elysee-Palast mit. Ansonsten können die baskischen Flüchtlinge einige ruhige Tage verleben. Alle „anti-terroristischen“ Sonderheiten sind in Paris zusammengezogen. Eigentlich kann nichts mehr schiefgehen.

„Ich bin ein freier Mann. Ich werde für nichts und niemand mehr kandidieren. Ich versuche, mit mir selbst im Reinen zu sein.“ Fran?ois Mitterrand ist zuversichtlich, glaubt man seinem jüngsten Interview. Freilich: Ein König muß auch mit sich selbst im Reinen sein. „Nichts,“ notierte Ludwig XVI. am 14.Juli 1789 in sein Tagebuch.