Mit Leidenschaft-betr.: "Die Lust an der Lust - beim Lesen verführt", taz vom 7.7.89

betr.: „Die Lust an der Lust - beim Lesen verführt“,

taz vom 7.7.89

Salz auf unserer Haut, auf unserer - diese Betonung deutet auf Gemeinsamkeit hin, und davon ist in gleichnamigem Buch viel zu entdecken. Gemeinsamkeit von zwei Menschen, die sich sehr lieben, nicht zusammenleben und dennoch nicht voneinander lassen können. Gemeinsamkeit aber auch, weil diese Geschichte gar nicht so wirklichkeitsfremd sein muß, wie sie manchem/r erscheinen mag.

Wie dieses Buch auf eine/n wirkt beziehungsweise was man davon halten mag, liegt bei einem selbst: Wer (sich selbst und anderen) verleugnet, daß Liebe, Leidenschaft und Zärtlichkeit Dinge sind, die ganz und gar außerhalb des Bereiches „Märchen“ ihren Platz haben, sondern von Menschen tagtäglich erlebt werden (oder auch nicht, dann gibt's Enttäuschungen, beides ist real), der mag dazu neigen, in diesem Buch ein Machwerk eher obszöner Art zu sehen. Und wer geneigt ist, die Inhalte des Buches als Pornographie einzuschätzen, sollte die Ursachen hierfür besser bei sich selber suchen, statt in dem Vokabular von Salz auf unserer Haut. (...)

Daß Leidenschaft weder Zärtlichkeit ausschließt noch umgekehrt, zeigt doch dieses Buch: Beide lieben sich, und nur weil ihre Liebe in teilweise deftigen Worten - sehr anschaulich und sehr verständlich, wie ich finde geschildert wird, ist dies noch lange kein Anlaß, die Zärtlichkeit, die dabei mitschwingt, nicht sehen zu wollen. Und nur weil in den vergangenen Jahren mehr Zärtlichkeit „gefragt“ war (von wem auch immer), hat dies doch nie bedeuten sollen, Leidenschaft hintanzustellen. So wie sich diese beiden Gefühle keinesfalls ausschließen, so ist es Liebe, die beides erst möglich, erlebbar macht. Das, was wir im Herzen fühlen, sollten wir uns auch zwischen den Beinen zugestehen, unabhängig von Modeerscheinungen, die manche Menschen aus falsch verstandenem Emanzipationsbestreben in die Welt zu setzen versuchen. Das Herz wandelt sich nicht höchstens der Verstand, der eben auch allzu oft auszusetzen vermag.

Ich würde es begrüßen, Frau Soltau, wenn Sie mir auch nur eine Stelle in diesem Buch nennen könnten, die darauf hindeutet, daß Gauvain ein Macho ist. Der Gauvain, die er von Benoite Groult geschildert wird, hat mit einem Macho ebensowenig zu tun wie eine Feministin mit einer Lesbierin, auch wenn von manchen ZeitgenossInnen, die Begriffe nicht verstehen oder auseinanderhalten können, manches per Vorurteil über einen Kamm geschoren wird.

Nur weil ein Mann sich zu einer Frau höchst männlich - dies aber in besonderem Maße liebevoll und leidenschaftlich, und nicht ohne Zärtlichkeit - zu verhalten imstande ist, hat er es nicht verdient, von denjenigen, die das eine nicht vom anderen unterscheiden können, als Macho abqualifiziert zu werden. (...) Das Buch ist ein mutiger (und in jeder Hinsicht liebevoller), weil deutlicher Hinweis, daß Liebe und Leidenschaft Menschen über Jahre hinweg füreinander empfinden lassen, vielleicht gerade weil das Körperliche nicht verklärt und allen möglichen verstandesbestimmten Einflüssen unterworfen, sondern einfach erlebt wird. Zuviel, um nur einen Nachmittag davon zu träumen, und zu schade, dies nur zu träumen.

Dieter Wolf, Darmstadt