SCHONUNGSLOS GLATT

■ Kurt-Weill-Revue vom Theater des Westens

Nichts gegen Revues, nein, flotte Abende kann man da verbringen bei einer Handlung, die Alibi ist für die Kunststücke der Darbietenden: Singen, Tanzen und Feuerschlucken, daß es eine Freude ist, ohne sich den Kopf krumm machen zu müssen. Und sowas ist ja auch ein Hauptanliegen des Theaters des Westens: Kantway Berlin, mit dem Geschmack der großen weiten Welt, die an einem so schönen Abend recht gerne verrucht und halbweltlerisch sein darf. Dafür hat sie schließlich bezahlt.

In diesem Falle für die Kurt-Weill-Revue: Es zieht vorbei ein musikalisches Leben aus Deutschland, das sich fortmachen muß ins Exil - die Haut retten über Paris nach New York. An diesen biographischen Eckdaten Weills und der Musik, die an ihnen entstand, ist die Revue aufgebaut. Bis zur Halbzeit die großen Erfolge in Deutschland: Mahagony, Drei-Groschen -Oper, Happy-End-Hits und verstreute Songs dazu.

Es beginnt mit einem Riesensofa mit einer begehbaren Rückenlehne. Auf dem Sofa räkelt und liegt und singt Frau Milster hauptsächlich von der Liebe, der bezahlten wie der von Herzen. Um sie herum fünf Herren, eingekleidet und angetan zwischen arbeitsloser Unteroffizier und Stockzylinderfrack: wie man sich eben die roaring twenties vorzustellen hat im exklusiv seidenen Milieu nach dem Durchblättern einer Mappe von George Grosz. Zwischen ihnen bricht der ewige Kampf der Geschlechter aus. Die Herren wollen nur das Eine, allesamt erliegen sie der Erotik und fummeln und singen darum unter der Macht des Eros‘. Bevor sie an ihr Ziel kommen, hat die Dame wieder einen Auftritt und verweist sie in ihre Schranken. So geht es eine Weile hin und her, hier die Monroe vom Zoo, dort die Grosz -Reproduktionen. An diesem dürftigen Faden entlang werden Lieder aus Mahagony und Happy End weggesungen mit Schmackes und der züngigen wie flottweg dahinbrausenden Unterstützung des hauseigenen Orchesters, das souverän alle Ecken und Kanten von Weills Musik zuschlagert.

Bevor dieser dürftige Faden aber blank rumliegt und seine Spannungslosigkeit mit endloser Wiederholung strapaziert, wird das Sofa inclusive der darauf sitzenden Sängerin nach hinten gezogen, und zur Ouvertüre der Drei-Groschen-Suite hüpfen junge Tänzerinnen im Sinne von Nummerngirls über die Bühne. Was bis zur Pause folgt, ist eine getanzte Phantasie über die Musik der Drei-Groschen-Suite in Anlehnung an das Thema der Oper. Was bei Brecht und Weill aber noch die entzerrte Darstellung einer Pistolen- und Mordgesellschaft im Spiegel ihrer Unterwelt war, wird in der getanzten Ausgabe der Drei-Groschen-Suite durch das TdW zur Vorführung einer Geschichte, die das Publikum mit der ihm eigenen Distanz goutieren kann. Brave Menschen, vor deren Augen sich eine Geschichte abtanzt, die geht so: Junge Frau aus gutem Hause fällt aus der Moral ins Verbrechen und dann an die Spitze der Gauner-&Polizistenwelt. Das, weil die so schön, verrucht ist, wie man nur zwischen den Kriegen sein konnte.

Bevor der Vorhang fällt, taucht mitten in der glitzernden Unterweltsgeschichte Hana Hegerova auf, als sei sie gerade einem Bild von Käthe Kollwitz entsprungen und stimmt ein auf das Elend, das so golden nicht war, wie die zwanziger Jahre erscheinen. So fix kann die Kritik an den Verhältnissen kommen.

Der zweite Teil der Revue ist überschrieben mit Paris: erste Station des Exils von Kurt Weill. Während die Lichter im Zuschauerraum noch leuchten, bringt das Ensemble Stühle mit auf die Bühne, gruppiert sich um ein Klavier und läuft so portionsweise auf dem fernen Deutschland in einem Pariser Cafe ein. Im Hintergrund fällt Schnee, jede Flocke eine Träne. Aus dem Emigrantenensemble steht immer wieder jemand auf und singt, nur begleitet von dem Klavier, ein trauriges Lied über das traurige Los, während der Rest ergriffen, wehmütig und händeringend zuhört. Daß dieser Teil dennoch der gelungenste von allen ist, liegt nicht zuletzt an Hana Hegerova, die Weills Lieder singt, und sie nicht gesangsartistisch darbietet; sie verleiht den Liedern Leben, weil sie sie gegen den Strich singt, so, wie Weills Musik auch ist.

Der letzte Teil, New York, soll beweisen, daß das TdW auch Broadway kann und geht demgemäß schief. Wie man sich hierzulande eine dumme Radioquasseltante aus Amerika vorstellt: Kostüm, onduliertes Haar, sich überschlagende Stimme zwischen quietschig und volldumm, so tritt eine Figur auf, uns durch die Musik zu führen, die Weill in New York komponiert hat. Dabei wird kein Broadway-Klischee ausgelassen: tanzende Tennisspieler, durchschnittene Cadillacs, opulente Liegestühle und der Präsident von Amerika mit einem Stetson auf dem Kopf. Es soll wohl bewiesen werden, daß Weill nicht nur ein deutscher Komponist mit viel Kultur war, sondern durchaus in der Lage, mit dem amerikanischen Musical-Standard mitzuhalten. Amerikanische Musicals bedeuten nun aber nicht unbedingt, gähnende Langeweile zu produzieren. Und aber genau dies tut das TdW, indem es sich als Kopierer ironisch zu betätigen versucht. Und Kurt Weill war immer mehr als ein guter Musical -Komponist. Selbst die Stücke seiner Broadway-Zeit sind noch voller musikalischer Stolpersteine, jenseits der Glätte, mit der das Theater des Westens sie aufführt.

Höttges