: Die Weisung „ohne schrille Töne“ diskutieren
Die Ausländerbeauftragte des Senats, Barbara John (CDU), zum neugeregelten Bleiberecht für Ausländer ■ I N T E R V I E W
taz: Frau John, wie beurteilen Sie als Ausländerbeauftragte die neue Weisung des Berliner Senats, die das Bleiberecht für Ausländer regelt?
Barbara John: Es gibt einen Teil, über den man nicht streiten sollte, weil es dazu keine vernünftige Alternative gibt. Wir brauchen eine Weiterentwicklung der sogenannten Altfallregelung von 1987, und zwar deshalb, weil die Asylverfahren in der Regel immer noch zu lange dauern. In der Zwischenzeit haben viele Zuwanderer in Berlin ihre Familien gegründet, und nach einer so langen Zeit von sechs, sieben Jahren wäre eine Ausweisung ein neues soziales Unrecht. Es gibt aber auch einen anderen Teil der Weisung, der etwas völlig Neuartiges ist, indem er bisher streng gehütete Grundsätze auch bei humanitären Regelungen nicht mehr beachtet. Hier geht es darum, daß außerhalb von abgeschlossenen Asylverfahren Aufenthaltsrechte für größere Gruppen geschaffen werden. Dieses Bleiberecht gilt auch für schwere Straftäter, und zwar auch dann, wenn gar kein Integrationsbezug in Berlin gegeben ist.
Welche Probleme sehen Sie in dieser weitgefaßten Neuregelung?
Ich sehe zwei Probleme. Die Weisung hat damit nicht nur die Wirkung einer Art Generalamnestie für die hier lebenden Flüchtlinge, sondern sie regelt auch ein Bleiberecht ohne abgeschlossenes Asylverfahren für künftige Fälle. Und zweitens sehe ich keine Notwendigkeit, Straftäter ohne Integrationsbezug nicht auszuweisen. Es ist keine soziale Härte, wenn Straftäter zurückkehren, denn oft haben sie das Asylrecht dazu genutzt, straffällig zu werden.
Teilen Sie die Einschätzung des CDU-Abgeordneten Wruck, der behauptet hat, mit der neuen Weisung werde Berlin zum Mekka für Straftäter?
Es wäre ja schön, wenn wir, wie das in Mekka üblich ist, aus Ganoven Geläuterte machen könnten. Leider wird das auch in Berlin nicht funktionieren.
Die Opposition versucht, gegen die Weisung eine Kampagne zu organisieren. Meinen Sie nicht, daß das die Ausländerfeindlichkeit anheizt?
Es ist auf jeden Fall notwendig, die Weisung sachlich zu diskutieren, auch im Abgeordnetenhaus, ohne schrille Töne. Es ist in dieser schwierigen Frage nicht möglich, einfache Lösungen zu praktizieren, und ich habe den Eindruck, daß die jetzige Lösung zu einfach ist.
Glauben Sie ebenso wie Innenminister Schäuble, daß Berlin aus der Rechtseinheit mit dem Bund ausgeschert ist?
Ohne Zweifel geht Berlin über die bisherigen gemeinsamen Absprachen mit Bund und Ländern hinaus. Bereits im Dezember 1988 ist in einer Arbeitsgruppe eine Regelung erarbeitet worden, die aber so kompliziert ist, daß sie in der Praxis ohne Wert ist. Hier besteht m.E. dringender Handlungsbedarf für neue Absprachen und praktikable Lösungen, die verhindern, daß De-facto-Flüchtlinge in eine soziale Grauzone abgedrängt werden.
Glauben Sie, daß die Berliner Weisung Vorbild sein könnte für Regelungen in anderen Bundesländern?
Die Berliner Weisung ist die weitestgehend denkbare und wird in der jetztigen Formulierung kein Vorbild sein können, aber sie kann als Grundlage für eine neue Diskussion herangezogen werden. Wir dürfen nicht leichtfertig den Wert des bisherigen Asylrechts gefährden und sollten, wie das in der Vergangenheit auch schon geschehen ist, Kontingentlösungen für einzelne Gruppen entwickeln. Solange nicht mehr die Möglichkeit besteht, bei veränderter Situation im Heimatland auch auszuweisen, sehe ich das Asylrecht, wie es im Grundgesetz festgeschrieben ist, als gefährdet.
Interview: Kordula Doerfler
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