: Eigennütziger Antifaschismus
Vorwahlarithmetik kann politische Positionen nicht ersetzen ■ K O M M E N T A R E
Die SPD ist keine Kraft des uneigennützigen Antifaschismus, sondern eine Partei, die an die Regierung will. Dies ist die banale und wenig überraschende Lehre, die aus dem monatealten Strategie-Papier der Bonner Baracke gezogen werden kann. Drei Mitarbeiter der SPD hatten niedergeschrieben, was nach den Kriterien der Wahlarithmetik zu jenem Zeitpunkt auf der Hand lag: Der Aufstieg der Rechtsradikalen nützt der SPD, weil er der Union schadet; durch die Verluste der CDU/CSU nach rechtsaußen kann die SPD Regierungspartei werden. Die Sorge über das Erstarken der Rechtsradikalen hielt sich entsprechend in Grenzen. Zeitweise haben führende Sozialdemokraten in der öffentlichen Polemik auch Empfehlungen dieses Papiers beherzigt: Die Re-Integration von Schönhubers Schmuddelkindern wurde der Union als staatspolitische Aufgabe zugewiesen und gleichzeitig herausgestellt, daß die Konservativen diese Aufgabe gar nicht erfüllen können, weil sie ja selber Steigbügelhalter der rechtsradikalen Aufsteiger sind.
Bereits bei der Berlin-Wahl standen allerdings andere Zeichen an der Wand, die sich bei der Europa-Wahl zu einem Droh-Gemälde verdichteten: Die „Republikaner“ nehmen nicht nur der Union Stimmen, sondern auch den Sozialdemokraten. Und allem lauthals vorgetragenen Zweckoptimismus zum Trotz ist nicht absehbar, welche Einbrüche die „Republikaner“ im klassischen Klientel der Sozialdemokraten bei der anstehenden Wahlserie in Ländern und Kommunen erzielen werden. Das Zurückdrängen der „Republikaner“ ist nun wiederum einmal abgesehen von antifaschistischer Moral schlechthin - zum parteieigenen Interesse der SPD geworden. Seither ist in der SPD ein Durcheinander verschiedenster politischer Linien zu verzeichnen: Es beginnt dabei, daß man noch nicht einmal einen Begriff gefunden hat, um die „Republikaner“ politisch zu charakterisieren, und es endet bei Kontroversen in Einzelfragen: sei es der Unvereinbarkeitsbeschluß in Gewerkschaften, sei es die Beobachtung durch den Verfassungsschutz.
Die Erkenntnis, daß der Aufstieg der REPs die SPD nicht automatisch zur stärksten Partei macht, hat die Profillosigkeit der Partei in ein noch schärferes Licht gerückt. Bisher war der politische Spagat schon weit genug: Einerseits Grünen-Wähler gewinnen wollen, andererseits konsersativ-liberale Mittelständler ansprechen. Nun muß auch noch das Abdriften eines nationalistisch gesonnen rechten Rands bei Arbeitern und Kleinbürgern berücksichtigt werden. Eine stärkere Orientierung auf rot-grün, wie sie manche Partei-Linke erhoffen, wird aus diesen Überlegungen mit Sicherheit nicht resultieren. Eher könnte Schönhuber auch die SPD noch weiter nach rechts drängen.
Charlotte Wiedemann
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