Anklage gegen Hersteller von Holzschutzmitteln erhoben

Firmen sollen jahrelang wissentlich Mittel mit giftigem PCP und Lindan hergestellt haben / Dunkelziffer von mehreren hunderttausend zum Teil schwer Geschädigter  ■  Aus Frankfurt M.Blum

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt hat bei der Umweltschutzstrafkammer des Landgerichts Frankfurt gegen drei Geschäftsführer zweier in Düsseldorf und in der Nähe von Hamburg ansässiger Holzschutzmittel-Firmen Anklage erhoben. Wie Oberstaatsanwalt Jochen Schroers gestern mitteilte, wird den drei Beschuldigten „fahrlässige Körperverletzung, vorsätzliche gefährliche Körperverletzung sowie schwere Gefährdung durch Freisetzen von Giften“ vorgeworfen.

Mit der Anklage hat die Staatsanwaltschaft ein seit 1984 bei ihr anhängiges „Großverfahren“ um die gesundheitlichen und finanziellen Schädigungen von Holzschutzmittel -AnwenderInnen, die die gesundheitsschädlichen Mittel - sie enthielten insbesondere Pentachlorphenol (PCP) und Lindan im Innenbereich ihrer Häuser und Wohnungen seit 1969 angewendet haben, zunächst abgeschlossen. Als „Ergebnis dieser äußerst schwierigen Ermittlungen“ glaubt die Staatsanwaltschaft nachweisen zu können, daß 168 Personen Gesundheitsschädigungen durch die Holzschutzmittel erlitten haben. Das Einatmen der ständig und über Jahre aus dem Holz diffundierenden giftigen Inhaltsstoffe der Holzschutzmittel hätten nachweislich zu Beeinträchtigungen vor allem des Zellstoffwechsels, der Nervenfunktion sowie der Funktionsfähigkeit einzelner Gehirnbereiche der Geschädigten geführt. Dies erfüllt „den Straftatbestand der Körperverletzung“, erklärte Schroers. Eine fahrlässige Körperverletzung bestehe, weil die Beschuldigten schon 1969 diese Folgen hätten vorhersehen können und müssen. Schon damals hätten wissenschaftliche Untersuchungen über eine Gesundheitsgefährdung durch die Anwendung von Holzschutzmitteln im Innenbereich existiert.

Ab Mitte der siebziger Jahre hätten sich die Hinweise verdichtet, und obwohl bereits Hunderte von Beschwerden Holzschutzmittelgeschädigter den beiden Firmen be Fortsetzung auf Seite 2

kannt waren, hätten die erst 1978 PCP-freie Mittel auf den Markt gebracht. In Bezug auf die 168 Geschädigten bestünde deshalb bis Januar 1979 der Straftatbestand der fahrlässigen Körperverletzung. Spätestens ab Januar 1979 hätten jedoch nach einem Abschlußbericht einer Kommission des Bundesgesundheitsamtes für die Beschuldigten „keine ernstzunehmenden und nachvollziehbaren Zweifel mehr an der Schädlichkeit ihrer Produkte gegeben“. Die Staatsanwaltschaft macht den zwei Firmen zum Vorwurf, daß sie es unter „billigender Inkaufnahme weiterer Gesundheitsbeeinträchtigungen“ unterließen, über die Gefahren der Holzschutzmittel zu informieren. Dies erfülle den Straftatbestand der gefährlichen Körperverletzung durch Unterlassen. Nach Paragraph 330a Strafgesetzbuch sei anzuklagen, daß Gifte freigesetzt wurden, die die Geschädigten in die Gefahr des Todes oder einer schweren Körperverletzung gebracht haben. Dies sei in 15 Fällen geschehen. Die Geschädigten hätten in sieben Fällen Selbstmord ver

sucht, in anderen Fällen habe die Gefahr bestanden, daß sie „geisteskrank werden“.

Zum heutigen Zeitpunkt liegen der Staatsanwaltschaft 2.135 Anzeigen von rund 5.000 Geschädigten vor. Seit 1985 ermittelt das BKA in dieser Sache. Insgesamt 41 Firmen kommen als Beschuldigte in Frage. Die Staatsanwaltschaft hat sich auf die beiden marktführenden Firmen in dem „Pilotverfahren“ beschränkt. Die Anklageschrift umfaßt 645 Seiten. Mit einer Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens wird zum Jahresende gerechnet. Erst danach wird die Staatsanwaltschaft gegen die restlichen 39 Holzschutzfirmen weiter ermitteln.

Nach Schroers gibt es eine mögliche Dunkelziffer von mehreren Hunderttausenden Geschädigten. In der Mehrzahl haben Geschädigte in Zivilprozessen bislang kein Recht bekommen, erklärte Schroers. Schelte erteilte der Staatsanwaltschaft auch dem Bundesgesundheitsamt: Es habe jahrelang nicht auf Hinweise über die Gefahren der Mittel reagiert. „Wir haben das BGA deshalb auch im Blick.“ Die Verbraucher-Initiative Bonn begrüßte die Anklageerhebung gegen die „Giftmüllmischer“. Sie hofft, „daß das Gericht

die schuldigen Chemiemanager für ihre kriminellen Machenschaften zur Verantwortung zieht“. Der Vorsitzende Gerd Billen fordert die Bundesregierung auf, einen Fond für die Betroffenen einzurichten.