: Was ist eine „gesellschaftlich relevante Gruppe“?
■ Wie das künftige Landesmediengesetz für Berlin ganz, ganz demokratisch umgesetzt werden kann, führt Kabelrätin Sophie Behr in einem „nicht nur sarkastisch gemeinten“ Vorschlag aus
Auf der Pflichtenliste des SPD/AL-Gouvernements in Berlin steht unter anderem auch ein Landesmediengesetz. Dieses soll unter anderem das „Kabelpilotgesetz und Versuchsgesetz für drahtlosen Rundfunk im Land Berlin (KPPG)“ ablösen und Instanzen schaffen, welche die privaten Veranstalter von Hörfunk und Fernsehen zulassen, überwachen, beaufsichtigen. Ziemlich bedeutend ist dabei, wie das entsprechende Gremium zusammengesetzt sein soll/muß/darf, damit es einerseits möglichst viele „gesellschaftlich relevante Gruppen“ wiederspiegelt, andererseits aus kompetenten Personen besteht und noch andererseits nicht durch seine schiere Größe kaum mehr handlungsfähig ist.
Sophie Behr, Mitglied des fünfköpfigen „Kabelrats“ der in Berlin derzeit noch die Aufsicht über alle privaten Veranstalter audiovisueller Angebote führt, macht einen wie sie betont „nicht nur sarkastisch gemeinten“ Vorschlag zur Güte.
Die nachfolgenden organisierten Personen unterbreiten durch ihre Organisation(en) einen Vorschlag, bis zu drei Personen:
Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Ausländer, Alte, Beamte, Behinderte, Christdemokraten, Drehbuch-AutorInnen, Eltern, Freiberufler, Gläubige diverser Denominationen, Händler, Handwerker, Homosexuelle, Junge Menschen, Katholiken, Lehrer und Erzieher, Männer, Nichtererwerbstätige, O, P, Q, R, S, T, U, Verbraucher, Wissenschaftler, X, Y, und eventuell sogar Zeitungsverleger.
Aus den so vorgeschlagenen 30 bis 150 oder mehr Personen, die allesamt kompetent in Sachen Medien sein sollen und Kenntnisse, Erfahrungen und Qualifikationen beim Zustandekommen von Entscheidungen haben sollen (eine Sollvorschrift ist keine Mußvorschrift), wählt das Abgeordnetenhaus von Berlin maximal 12 (mindestens - dies als tolle Idee - fünf) RepräsentantInnen aus, die natürlich nicht Mandatsträger, Beamte oder finanziell/existentiell von den zu beaufsichtigenden Anbietern abhängig sein dürfen. (Die überhaupt so unabhängig wie möglich sein müssen, aber dies ist hier nicht das Problem.)
Bei der Auswahl ist zu berücksichtigen, daß die Vorgeschlagenen möglichst viele der oben, ohne jeden Anspruch auf Vollzähligkeit, aufgeführten Rollen auf sich vereinigen, also AusländerInnen sind, unter 30, 20 oder über 50, 60 sind (wobei nicht linear zu verfahren ist), MieterInnen, Kirchenmitglied, ArbeiternehmerIn, einer politischen Partei nahestehendeR, kinderreich/-los, Medienkonsument/-muffel und meinetwegen sogar Zeitungsverleger.
Alle BewerberInnen werden mit den Daten, die sie entlang der oben bereits nun zweimal - wenn auch ohne Anspruch auf Vollzähligkeit - dargelegten Kriterien mitzuliefern aufgefordert sind, in einen Rechner eingespeist (eingefüttert, wenn dieser Ausdruck passender erscheinen sollte), welcher dann in Nanosekunden die GewinnerInnen ausdruckt, -spuckt, -wirft.
Gute Chancen hätte die 55jährige, frühpensionierte Handwerkerin ausländischer Staatsangehörigkeit, die vor 30 Jahren im Landesjugendring Vorstandsmitglied war, zudem der AL nahesteht, zwei Kinder großgezogen hat (in Berlin nicht ganz leicht zu finden) und nach langjährigem Mieterdasein kürzlich eine Eigentumswohnung erworben hat.
Ihre Kompetenz in Sachen Medien (audiovisuelle) leitet sie aus der Tatsache ab, daß sie - ebenfalls seit 30 Jahren mindestens 28 Stunden in der Woche fernsieht oder Radio hört. Ihre Nachbarn haben in den sechziger Jahren versucht, sie wegen ruhestörenden Lärms, Dauerbeschallung zu verklagen (Beweis wird auf Wunsch erbracht). Sie kann die Einschaltquoten aller alten Ufa-Filme seit Beginn der Messungen aus dem Kopf hersagen.
Gute Chancen hätte auch der pensionierte Wirtschaftsstadtrat des Bezirks Zehlendorf, der gerade noch nicht 30 Jahre alt ist, Christdemokrat katholischen Glaubens, gelernter Erzieher und - das bringt entscheidende Punkte - sowohl behindert als auch homosexuell organisiert ist. Seine Kompetenz für die Mitgliedschaft im Medienrat leitet er aus der Tatsache ab, daß er nachweislich zweimal in einer Talkshow aufgetreten sei, als es von diesen Veranstaltungen erst drei in allen bundesdeutschen Programmen gab. Der Bewerber wird vom Rechner auf Platz 13 einrangiert, so hat unser Stadtrat gute Nachrückchancen, wenn eine der zwölf gewählten Aufsichtspersonen (die Idee mit den lediglich fünf Medienräten verfiel selbstverständlich der Ablehnung durch das aus vier Parteien zusammengesetzte Stadtparlament) ausscheiden sollte.
Das Gute an diesem Vorschlag ist, daß er offen ist für allfällig neu relevant werdende gesellschaftliche Gruppen.
Schlecht ist nur, daß es bisher keinen Konsens in der Gesellschaft darüber gibt, wer oder was gesellschaftlich relevant ist.
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