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Heroin auf Krankenschein

■ Zum Hamburger Vorschlag staatlich kontrollierter Drogenvergabe

Der Hamburger Bürgermeister Voscherau (SPD) hat mit dem Plan Aufsehen erregt, die Vergabe von Heroin und Kokain an Abhängige unter öffentliche Kontrolle zu stellen - nur so könne man die Beschaffungskriminalität eindämmen und dem internationalen Rauschgifthandel „das Genick brechen“. Dieser längst überfällige Vorschlag zur Humanisierung der Drogenwelt scheint hierzulande derzeit genausowenig durchsetzbar wie in den USA, wo Köpfe wie der Ökonom Milton Friedman Ähnliches fordern und zurechtgerückt werden - von Hardlinern in der Regierung des vormaligen Pharmalobbyisten George Bush. Auch Voscherau ist auf harten Widerstand gestoßen - das harte Brett vorm Kopf bei den Vertretern der Repression, die auf Polizei, Justiz, Thearapie (in dieser Reihenfolge) setzen, verdeutlicht Baden-Württembergs Innenminister Schlee (CDU), der sich weigerte, eine solche Erwägung überhaupt zu diskutieren. Da half auch nicht die Erinnerung an die 34 Hamburger Drogentoten im letzten halben Jahr, auf die der Bürgermeister als Spitze des Eisbergs verwies.

Unbeeindruckt zeigte sich auch die „Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren“ (DHS): Eine solche Maßnahme sei weder für die Betroffenen noch zur Bekämpfung der „Drogenkartelle“ der geeignete Weg, statt dessen, so der Vorsitzende Hüllinghorst, müsse „die bewährte Drogenarbeit kontinuierlich weitergeführt werden“, sie laufe „seit 20 Jahren mit recht guten Erfolgen“. Darüber, wo die Erfolge liegen, schweigt sich der DHS-Vorsitzende notgedrungen aus. Ein Blick in jede Statistik zeigt, daß weltweit noch nie so viele Drogen eingenommen und sichergestellt wurden wie heute - der Weltjahresumsatz illegaler Drogen wird auf 300 Milliarden Dollar geschätzt. Ein gigantischer Markt, gegen den die bisherige internationale Kriminalitätsbekämpfung tatsächlich keine „wirklich überzeugenden Erfolge“ (Voscherau) aufweisen kann. Wie denn auch: Man bekämpft die Windmühlenflügel auf der Angebotsseite (ProduzentInnen, SchmugglerInnen, HändlerInnen), weil sich die Hydra der Nachfrage (KonsumentInnen) nicht bekämpfen läßt - sie läßt sich nur besänftigen. Die Drogenkrieger aber tun das Gegenteil: Sie hauen ihr die jüngsten Glieder ab - drei Viertel aller Verurteilungen nach dem Betäubungsmittelgesetz erfolgen wegen kleiner und kleinster Mengen - und nennen es „erfolgreiche Drogenpolitik“.

Auf den Markt hat derlei Kriegsspiel auf dem Rücken der Kleinen nicht einmal mehr preisregulierende Wirkung - genau hier aber setzt der Hamburger Vorschlag an. Die durch die Illegalität bedingten horrenden Drogenpreise und die riesigen Gewinnspannen sollen durch eine legale Abgabe unterlaufen werden, um so die Syndikate an ihrer empfindlichsten Stelle zu treffen: dem Profit. Wer wird sich noch ein Gramm Heroin von dubioser Herkunft auf der Scene für 200 Mark kaufen, wenn er sich für 20 Mark oder gratis auf Krankenschein beim Gesundheitsamt sauberen Stoff spritzen kann? Gewiß wird sich der Schwarzmarkt so nicht vollends austrocknen lassen - ein Fixerleben mit der täglichen Jagd nach Geld und Stoff ist für einige ein Beruf, und solche Junk-Desperados werden auf die Fixe von Papa Staat pfeifen. Doch für Tausende anderer kann sie lebensrettend sein, ein Ausweg aus dem Tod auf Raten im kriminellen Sumpf.

Zudem kann für die stetig nachwachsenden Fixergenerationen ein eher abschreckendes als animierendes Beispiel gegeben werden: Die offizielle Vergabe von Drogen entmythologisiert den abenteuerlichen Nimbus „Rauschgift“ und bringt wieder ins Bewußtsein, um was es sich bei Heroin und Kokain eigentlich handelt: um Medikamente. Heroin erhielt vor 100 Jahren von der Firma Bayer seinen martialischen Namen, weil es die Entgiftung der übermäßig unheroischen (weil stark morphiumabhängigen) Armeen versprach - ein Argument, das heute gegen die Vergabe des Ersatzstoffes Methadon verwandt wird, von den Illusionisten der Drogenfreiheit, die ihren ungewinnbaren Krieg blindlings fortführen. Moralisch macht es keinen Unterschied, ob Methadon oder Heroin auf Krankenschein vergeben wird, praktisch aber sehr wohl: sowohl, was die Akzeptanz bei den Betroffenen angeht - sie kriegen das echte Medikament und keinen Ersatz -, als auch, was die kriminellen Profite der internationalen Drogen- und Politmafias betrifft. Mit dem kritischen Einwand, daß man mit dem Hamburger Modell die Abhängigen statt den Geiern der Syndikate nur den Haien der Pharmakonzerne ausliefere, werden wir vorerst leben müssen - letztere sind zumindest gezwungen, einen Beipackzettel beizulegen.

Mathias Bröckers

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