Die offizielle Konkurrenz zu Solidarnosc

Teil VI unserer Polen-Serie „Kleine Geschichte der Revolution“ / Die offiziellen Gewerkschaften OPZZ - unter dem Kriegsrecht gegründet, aber nicht außer acht zu lassen / „Wir sind nicht die Basis der Partei“  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

Eine starke Gewerkschaftsfraktion wolle man im Sejm gründen, hatten führende OPZZ-Funktionäre vor den Parlamentswahlen verkündet. Nun sitzt die offizielle, in Konkurrenz zur Solidarnosc aufgebaute Gewerkschaft mit ganzen elf Mann im Sejm. Alle wurden im Rahmen der 65-Prozent-Reserve für die Regierungskoalition gewählt. Dennoch ist nicht das eingetreten, was vor allem Solidarnosc-Mitglieder den OPZZ vorausgesagt hatten, und was OPZZ-Gewerkschafter durch ihren Widerstand gegen die Wiederzulassung von Solidarnosc verhindern wollten: daß sich die im Kriegszustand gegründete Organisation nach der erneuten Legalisierung von Solidarnosc einfach in Luft auflösen würde. Denn Inzwischen stagniert der Mitgliederstand bei Solidarnosc, während die OPZZ einen Zuwachs um acht Prozent verzeichnen. Zwar ist zweifelhaft, ob die OPZZ wirklich über sieben Millionen Mitglieder verfügen, doch man muß mit ihnen rechnen; nicht zuletzt deshalb, weil Solidarnosc auf Wirtschaftsreformmaßnahmen setzt, die auch den Arbeitern schmerzliche Zugeständnisse abverlangen werden. So liegt gerade in der sturen Vertretung unmittelbarer, einer tiefgreifenden Wirtschaftsreform konträrer Arbeiterinteressen die Zukunft der OPZZ. Sie könnte sich derjenigen annehmen, die in unrentablen, jahrzehntelang aus ideologischen Gründen geförderten Fabriken für Lohnerhöhungen kämpfen.

Dennoch, ohne Veränderung wird es in den OPZZ nicht abgehen: Es müsse ein genaues Programm definiert werden, um klarzustellen, daß die OPZZ ausschließlich Arbeiter vertreten, fordert ein Gewerkschafter im OPZZ-Organ 'Ziwazkowiec‘. Es gälte, sich von Solidarnosc als politischer Gewerkschaft abzuheben. Und andernorts wird die Forderung laut, sich auch deutlicher als bisher von der PVAP abzugrenzen oder ganz zu lösen: „Wir sind nicht die Basis der Partei.“ Alfred Miodowicz, Politbüromitglied und Chef der OPZZ, beklagt, daß die Partei die Kandidaten der OPZZ bei den Wahlen nicht unterstützt hätte: „Wir brauchen einen eigenen politischen Rückhalt.“ Doch gerade Miodowicz in seiner Doppelfunktion verkörpert diese Bindung an die Partei. Die Forderung aus den Reihen der Gewerkschaftsführung, seinen Posten als Politbüromitglied der PVAP abzugeben, lehnte er ab.

Programmiert sind auch die Schwierigkeiten mit der eigenen Basis: um die Organisation effektiver zu machen, sollen die zahlreichen Einzelgewerkschaften zu größeren Föderationen zusammengeschlossen werden. Damit werden viele Vorsitzende und deren Apparate überflüssig. Dem Exekutivkomitee war das Thema denn auch so heiß, daß es den Beschluß vertagte. Unklar ist, wer entscheiden soll: das Komitee oder der Kongreß. Der soll dann auch über das weitere Schicksal der Gewerkschaftsführung beschließen. Zur Einberufung des Kongresses konnte sich die Führung allerdings noch nicht durchringen.