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20.000 tanzen gegen den WAAhnsinn

7.Anti-WAA-Festival in Burglengenfeld / Erlös wird für die Internationalisierung des Widerstands verwendet / Die hochgespannten Erwartungen erfüllten sich nicht / Fast ein Rockfestival wie jedes andere / Es wird kein achtes Anti-WAAhnsinns-Festival mehr geben  ■  Aus Burglengenfeld B. Siegler

Ein Zweimeter-Hüne im roten Frack springt wie ein Derwisch über die Bühne des 7.Anti-WAAhnsinns-Festival in Burglengenfeld. Es ist der sowjetische Frank Zappa, der Kopf der Gruppe Antis, Algis Kauspedas. Kauspedas - Architekt, Politiker und Rockmusiker und damit „eine gelungene Mischung des allseits entwickelten sozialistischen Menschen“ (Promotionstext) - steht mit seiner Gruppe für das internationale Konzept des zweitägigen Festivals.

Musiker aus Großbritannien, der Sowjetunion, Polen, der DDR, den Niederlanden und den USA wollen mit Rockmusik rund um die Uhr darstellen, daß das Problem der Wiederaufarbeitung spätestens mit dem Aus für die WAA in Wackersdorf und der Verlagerung nach La Hague und Sellafield den „bundesdeutschen Rahmen längst gesprengt hat“, so Michael Bledl, Sprecher der Festivalorganisatoren. „Die Atomgefahr macht vor keiner Grenze halt“, lautet denn auch der kleinste gemeinsame Nenner von Udo Lindenberg, Wolf Maahn, Al Stewart und Ten Years After.

Doch gerade das endgültige Aus für das „Jahrhundertbauwerk“ in Wackersdorf brachte die Organisatoren in Schwierigkeiten. Die Wunschzahl von täglich 30.000 BesucherInnen bleibt unerreicht. Kaum etwas unterscheidet das zweitägige Musikspektakel äußerlich noch von anderen Rockfestivals. Die Müslikultur feiert außerhalb des Platzes fröhliche Urstände. Im umzäunten Festivalgelände sorgen horrende Preise für Haifischsteaks, Pizza und Kaffee für Ärger bei den Besuchern. Die Veranstalter haben sich bereits von dem mit der Verpflegung beauftragten Generalunternehmer Josef Höfling distanziert.

Ob die insgesamt 20.000 Besucher pro Tag - die Polizei spricht von knapp 15.000 - ausschließlich überzeugte WAA -GegnerInnen sind und gezielt mit ihrem Besuch der geplanten Internationalisierung des Widerstandes den Rücken stärken wollen, darf getrost in Frage gestellt werden. Immerhin: Jeweils eine Mark pro verkaufter Eintrittskarte geht an den Rechtshilfe- und Prozeßkostenhilfefonds der WAA-Gegner. Bei Kosten von insgesamt etwa 600.000 Mark fängt die Gewinngrenze jedoch erst ab etwa 15.000 Besuchern an. Der Reinerlös - sofern es einen geben sollte - geht dann an die Oberpfälzer Bürgerinitiativen. Damit sollen insbesondere die Kontakte nach La Hague ausgebaut werden, wo dann die bundesdeutschen Brennelemente wiederaufbereitet werden sollen.

Michel Freimont, Sekretär der französischen Grünen vom Department La Manche (Ärmelkanal) und Mitglied der BI gegen die Atomanlagen in La Hague, hat sich zusammen mit Jean -Jacques Kremp aus der Normandie bereits am Donnerstag abend nach Burglengenfeld aufgemacht. Sie wollen „hier den Erfolg im Kampf gegen die WAA in Wackersdorf feiern“ und einen Grundstein für den „gemeinsamen Kampf gegen Nukleartransporte und die nukleare Abfallwirtschaft in Europa“ legen. Von der Stimmung in Burglengenfeld sind sie begeistert. In den französischen Medien werden sie, wie immer in den vergangenen Jahren, keine Zeile vom WAA -Widerstand in der Oberpfalz lesen können. Beide setzen ihre Hoffnungen jetzt in die Öffentlichkeitsarbeit der frisch ins Europaparlament gewählten Abgeordneten der Grünen.

Polizei blieb zurückhaltend

Im Gegensatz zu dem Mammutfestival im Juli 1986, bei dem 120.000 WAA-GegnerInnen nach Burglengenfeld zogen, und ein Aufgebot von 6.000 Polizisten vor, während und nach dem Festival 30.000 Autos und 74.000 Festival-Besucher durchsucht hatte, gibt es in diesem Jahr keine Probleme. Die Polizei, die den Besuchern „angenehme Stunden bei ihrem Freizeitvergnügen“ gewünscht hatte, konnte sich jedoch nicht dazu bequemen, auf sporadische Kontrollen an den Zufahrtstrecken zu verzichten. Auf dem Platz hat der Ordnungsdienst des Motorradklubs „Kuhle Wampe“ alles, insbesondere das generelle Alkoholverbot, im Griff.

Mit diesem Festival wird nach sieben Jahren eine Tradition sterben. Michael Bledl kündigte an, daß es nicht sinnvoll sei, ein achtes Anti-WAAhnsinns-Festival 1990 durchzuführen. Dann würde wohl endgültig die unscharfe Grenzlinie zum „reinen Kommerzfestival“ überschritten werden. Er hofft vielmehr, daß „irgendwann in einem atomwaffenfreien Europäischen Haus die BI gegen die WAA in Schwandorf überflüssig sein wird“.

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