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Gegengipfel der sieben Ärmsten

Die Resolution, die Fran?ois Mitterrands Chefberater Jacques Attali am Samstag entgegennehmen durfte, war für seinen Chef wenig schmeichelhaft. „Wir erklären feierlich, daß wir den 'Großen‘ der Welt heute das Recht absprechen, die Botschaft der Französischen Revolution für sich zu reklamieren (...). Wir verurteilen das Entscheidungsmonopol der Reichen wegen seines antidemokratischen Charakters und vor allem wegen der konkreten Auswirkungen, die das hat.“

Schlüsselsätze aus der Abschlußerklärung des „ersten Gipfels der Armen“. Einen Tag lang hatten VertreterInnen der „sieben Völker unter den Ärmsten“ die Konsequenzen der herrschenden Weltwirtschaftspolitik für die Dritte Welt beklagt und damit einen öffentlich weithin beachteten Kontrapunkt zum offiziellen Gipfeltreffen gesetzt. Über 1.500 Menschen waren dem Aufruf der „Liga für die Rechte und die Befreiung der Völker“ sowie zweier französischer Solidaritätsorganisationen in das Palais de la Mutualite, traditionsreiches Pariser Versammlungslokal, gefolgt, um das Alternativspektakel mitzuerleben.

Frankreich, wo die Krise des Tiers-Mondisme, der Dritte -Welt-Solidarität, am größten war, nachdem viele Altlinke zu konservativen nouveaux philosophes geworden waren, erlebte einen neuen Anflug von Dritte-Welt-Bewegung. Fast schon enthusiastisch wurden die als Zeugen geladenen Abgesandten von Basisorganisationen und sozialen Bewegungen beklatscht: Serge Cherniguin von der philippinischen Gewerkschaft der ZuckerarbeiterInnen zum Beispiel, der höchstens zwei Nächte am selben Ort schläft, weil er immer wieder Morddrohungen aus Großgrundbesitzerkreisen bekommt. Oder Orlando Melgueiro da Silva von der Föderation der Indianerorganisationen Rio Negros in Amazonien/Brasilien, wegen seines gefiederten Kopfschmucks der Liebling der Bildjournalisten.

Symbolträchtig auch die Anwesenheit von Daniel Henrys aus Haiti. Dort mußte 1804 die erste (und bislang einzige) Republik ehemaliger Sklaven ausgerechnet gegen die Statthalter französischer Revolutionäre durchgesetzt werden. Heute hofft der in einer ökumenischen Hilfsorganisation aktive Arzt auf den gemeinsamen Kampf mit Franzosen und Französinnen gegen lokale Oligarchien und internationle Finanzorganisationen.

Die VeranstalterInnen des Gegengipfels wollen in Zukunft vermehrt Gegenexpertise und alternativen Sachverstand organisieren, um dem herrschenden Krisenmanagement in Schulden-, Entwicklungs- und Umweltfragen Kompetenz von unten entgegenzusetzen. Schon im Vorfeld des Gipfels der Armen hatte eine ExpertInnengruppe, darunter Susan George aus den USA und der Franzose Alain Lipietz, die Entscheidungen der G-7-Treffen abgeklopft und war zu dem Ergebnis gekommen, daß die Weltwirtschaftsgipfel ein „arrogantes Machtkartell“ etabliert hätten, in puncto Verbesserung der Lebensbedingungen der Mehrheit und der Umwelt jedoch bestenfalls Nullwachstum konstatiert werden könne. Man brauche dagegen ein weltweites Entwicklungsmodell, das soziale Probleme und Umweltprobleme sowie die Verringerung der Armut in den Mittelpunkt stelle.

Einig waren sich die TeilnehmerInnen des Gegengipfels, daß dies heute an erster Stelle die Streichung der Schulden der Dritten Welt erfordere, da diese die „gewaltsame Integration der Entwicklungsländer in das weltweite Wirtschafts- und Finanzsystem“ ausdrückten. Damit war der Bogen zurück zu den Berliner IWF-Tagen vom letzten September geschlagen. Den AktivistInnen von Berlin zollte die Pariser Versammlung explizit Anerkennung. Und Luciana Castellina, die Vizepräsidentin der Liga für die Rechte der Völker, die das Tribunal gegen IWF und Weltbank organisiert hatte, meinte in Paris sogar, es könne sein, daß mit Berlin „eine neue Phase“ der internationalen Dritte-Welt-Bewegung begonnen habe. Es dürfe kein Treffen der Reichen mehr stattfinden, das nicht von den Protesten der Armen und ihrer Verbündeten begleitet sei. Künftig solle es jedes Jahr einen „Gegengipfel der Armen“ geben. Als ersten Schritt forderte die Pariser Gegenveranstaltung den UN-Generalsekretär auf, umgehend eine außerordentliche Konferenz der Gläubiger- und Schuldnerländer einzuberufen, die eine politische Lösung der Schuldenkrise auszuhandeln hätte, einschließlich der Bedingungen für die Schuldenstreichung. Unter der Ägide der UNO müßten die Spielregeln der tonangebenden Finanzsituationen radikal geändert werden. Internationale Kredite für Waffenexporte sollten künftig verboten werden.

Rainer Falk, Paris

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