piwik no script img

Tiergarten - Objekt der Baubegierde

■ Umgestaltungspläne für Tiergarten beunruhigen Bürgerinitiativen und Anwohner / Tummelplatz für Spekulanten im Moabiter Süden und Unsicherheit für Schrebergärtner am Poststadion / „Leerstehende Wohnungen belegen statt Neubauten errichten“

„Der Patient Tiergarten ist krank, die Ärzte streiten, wie ihm zu helfen ist.“ Diese Einschätzung eines Teilnehmers einer der zahlreichen Podiumsveranstaltungen der letzten Wochen in Tiergarten trifft den Nagel auf den Kopf. Weil im Hause des gleichnamigen Bausenators begehrliche Blicke auf den „Stadterneuerungsschwerpunkt“ Moabit geworfen werden, strömen die Tiergartener zu Hunderten in die von Parteien, Umweltorganisationen, Kirchen und Büchereien organisierten Veranstaltungen, um ihr Interesse an einer Mitgestaltung des Bezirks zu bekunden.

Sie sehen den nördlchen Teil Tiergartens in „Gefahr, zum Mülleimer der Stadt“ zu werden. Während im Bereich der Lehrter Straße Planungen von der Intercity-Waschanlage über den Containerbahnhof bis zu 2.000 Parkplätzen für ein zentrales Fußballstadion auch noch die letzten Kleingartenidyllen zu verdrängen drohen, entwickelt sich der südliche Teil Moabits zum Tummelplatz der Spekulanten: Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen ist hier inzwischen die Regel; die für 1995 geplante Bundesgartenschau (BUGA) sorgt schon jetzt für Bewegung auf dem Immobilienmarkt. Bürgerinitiativen und Anwohner beklagen die mangelnde Transparenz der Planungen und fehlende Strategiediskussionen. Deshalb wird auch der Vorschlag des Bausenators, die Altbau-IBA-Gesellschaft S.T.E.R.N. als Entwicklungsträger für den nördlichen Teil Moabits zu benennen, als „Schnellschuß“ kritisiert. Im Vorfeld einer möglichen Kooperation mit S.T.E.R.N. sollte statt dessen institutionelle Bürgerbeteiligung und noch in diesem Jahr eine „Kommunalpolitische Konferenz“ stattfinden, die von Bezirksamt und BVV organisiert werden soll.

Entsetzt zeigen sich die Bürger und Initiativen über die Bebauungsentwürfe für das Moabiter Werder an der Spree gegenüber der Kongreßhalle. Die ursprünglichen Pläne, dieses Gelände mit Hilfe der BUGA in eine dauerhafte Grünfläche zu verwandeln, konkretisieren sich mittlerweile auf „1.200 oder mehr Wohnungen in einem Rahmen, der ökologischen Ansprüchen genügen soll“, so der Vertreter der Senatsverwaltung für Bau und Wohnungswesen, Foerster-Baldenius.

Die in einem der prämierten Entwürfe vorgesehene 23stöckige Hochhausbebauung an der S-Bahn würde nicht nur den Lärm der S-Bahn für Anwohner erheblich steigern, sondern vor allem das im Landschaftsprogramm als „klimatisches Belastungsgebiet“ ausgewiesene Moabit von dem notwendigen Luftaustausch mit dem Tiergarten abschneiden, hat Bert Kronenberg vom Arbeitskreis Stadtökologie des Bundes Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) herausgefunden. Gefordert wird daher ein durchgehender Grüngürtel als „Durchlüftungsschneise“ zwischen Tiergarten und den Rehbergen. Befürchtet wird, daß die zu schaffende Infrastruktur für die nach der Senatsplanung zu erwartenden 4.000 Neubewohner weitere für die Erholung vorgesehe, Flächen beanspruchen wird. Auf einer öffentlichen Veranstaltung machte ein Tiergartener deshalb einen Gegenvorschlag: Man könnte einen Großteil der geplanten Neubauwohnungen zugunsten von Grünflächen einsparen, wenn die von der Kommission für Wohnungsleerstand in Tiergarten entdeckten 400 leersteheende Wohnungen endlich besetzt würden.

Sigrid Bellack

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen