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RAF-Gefangene auf Neubestimmungskurs

Gefangenen aus der RAF geht es „um ein neues Verhältnis zur gesamten Linken“ / Nur „kämpfende Ebene“ schweigt / Verfassungsschutz sieht RAF in desolatem Zustand  ■  Von Maria Kniesburges

Als der nordrhein-westfälische Justizminister Krumsiek, SPD, kurz nach Abbruch des zehnten Hungerstreiks der Gefangenen aus der RAF öffentlich versicherte, die vier in Nordrhein -Westfalen in einer Gruppe zusammengelegten Frauen beabsichtigten, künftig „ein straffreies Leben zu führen“, hat dies nicht einmal mehr besonderes Erstaunen ausgelöst. Das, obwohl Krumsiek immerhin erklärt hatte, daß Politik und Justiz von einer Abkehr der Gefangenen vom „Konzept bewaffneter Kampf jetzt und hier“ ausgehen. Weniger konkret als Krumsiek, aber in die gleiche Richtung äußerte sich auch die Berliner Justizsenatorin Jutta Limbach, SPD.

Aus Kreisen ehemaliger Gefangener aus der RAF heißt es dazu eher vage: „Wahrscheinlich wollen sich die SPD-Politiker auf diese Weise gegen Angriffe aus der CDU wappnen, die sie wegen ihrer Kompromißbereitschaft im Hungerstreik attackiert.“ Mehr Ausflucht als Stellungnahme oder gar klares Dementi. Die Türen werden also nicht zugeschlagen und dies wird sicherlich dadurch erleichtert, daß Krumsiek und Limbach wohlweislich nicht die jahrelang beliebte Negativ-Formel „Abschwören“ benutzt haben, sondern ganz einfach gesagt haben: Es tut sich etwas. Und ganz offenbar hat sich hinter den Kulissen tatsächlich etwas getan.

Darauf deuten auch all die Hinweise und Vermutungen, die in den vergangenen Monaten unter den verschiedenen, teils spektakulär aufgemachten Überschriften, aber jeweils mit Fragezeichen versehen, aufgetaucht sind: „RAF am Wendepunkt?“ oder „Neue Politikfähigkeit der RAF“ bis hin zu „Distanzierung vom Terrorismus“. Wie auch immer der Umstand, daß ganz offenbar ein Veränderungsprozeß im Gang ist, von den jeweiligen politischen Interessen her benannt und besetzt wird - nicht „Abschwören“ oder „Distanzierung“ lauten die Wendungen, sondern „Neubestimmung“ oder „Diskussion und Auseinandersetzung mit offenem Ausgang“.

„Zu welchem Ergebnis die Diskussion führt, das werden wir sehen“, so Monika Berberich, im Frühjahr 1988 nach achtzehn Jahren Haft entlassen. „Der Ausgang ist offen, das sagen ja auch die Gefangenen selbst.“

RAF-Gefangene vor politischer Zäsur?

Schon mit Beginn des zehnten Hungerstreiks der Gefangenen aus der RAF im Februar dieses Jahres begannen insbesondere in Kreisen der Alt-Linken diverse Glöckchen zu klingeln: „Da tut sich was. Vielleicht steht uns noch in diesem Jahr eine dicke Überraschung bevor. Die rücken ab vom bewaffneten Kampf“, wurde intern gemutmaßt. Auslöser für derlei Überlegungen war die Erklärung der Gefangenen zum Auftakt des Hungerstreiks, unterzeichnet im Namen aller Streikenden von Helmut Pohl.

Ganz anders als noch in den Erklärungen zum Hungerstreik 1984/85 ist hier mit keinem Wort vom Aufbau einer bewaffneten antiimperialistischen Front in Westeuropa die Rede. Im Zentrum steht vielmehr die Forderung nach Zusammenlegung als Voraussetzung für eine politische Auseinandersetzung: „Wir wollen jetzt an der gesamten politischen Diskussion teilnehmen“, heißt es in der Erklärung. Und weitergehend: „Die Zusammenlegung ist jetzt für uns das erste. Dann wollen wir die Diskussion. Zur gesamten Situation - und für unsere Freiheit. Darauf spitzt es sich für uns praktisch zu. Denn die Freiheit ist natürlich unser Ziel. Wir wollen ja nicht ein Stück politischer Organisation im Gefängnis etablieren. Eine Gegenstruktur als Gefangene ist wirklich nicht unser höchstes Glück.“ Eine nur allzu einleuchtende Argumentation, aber realistisch? „Wir halten es aus allem für möglich“, fährt Helmut Pohl in der Erklärung fort, „das (die Freiheit) dann als realistisches Ziel anzupacken.“ Und in der Tat ist die Freiheit, wenngleich keine kurzfristige, so doch auch für die zu lebenslangen Haftstrafen verurteilten Gefangenen aus der RAF keine ausgeschlossene Perspektive. Für die ehemalige Gefangene Monika Berberich ist die Durchsetzung des Ziels Freiheit davon abhängig, „wieviel gesellschaftlicher Druck entfaltet werden kann“. Doch einmal dahingestellt, wieviel gesellschaftlicher Druck in diese Richtung erzielt werden kann, ist es gleichzeitig auf anderer Ebene klar, welche Bedingungen die Justizbehörden für die nach dem Gesetz möglichen sogenannten vorzeitigen Haftentlassungen stellen: Um bei Zeitstrafen auf Haftentlassung nach Ablauf von zwei Dritteln der Strafe zu erkennen oder Lebenslängliche nach fünfzehn Jahren zu entlassen, muß „erkennbar“ sein, daß nicht von erneuter Sraffälligkeit auszugehen ist. Stünde also am Ende einer Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Gruppen die Einschätzung, daß der „bewaffnete Kampf jetzt und hier“ als Teil einer politischen Strategie zu den Akten gelegt wird, wäre für Politik und Justiz überhaupt erst die formale Voraussetzung für Zweidrittelstrafen oder vorzeitige Entlassungen von Lebenslänglichen gegeben.

Neue Töne auch aus

dem Sicherheitsapparat

Insbesondere im Bundesamt für Verfassungsschutz scheinen die Zeichen der Zeit längst schon in eine solche Richtung gedeutet zu werden. Schon vier Wochen nach Beginn des zehnten Hungerstreiks, am 28. Februar 1989, wartete Verfassungsschutzchef Boeden mit einem erstaunlich weitreichenden Lösungsvorschlag auf. Während Generalbundesanwalt Rebmann in bekannter Verbissenheit mit 129a-Verfahren gegen die Hungerstreikenden zu Felde zog und im übrigen den Streik in alter Manier als „Teilstrategie des terroristischen Kampfes“ geißelte, schlug Boeden die umgehende Zusammenlegung der Gefangenen in Gruppen bis zu acht Inhaftierten sowie die Freilassung beziehungsweise Haftverschonung von kranken Gefangenen vor. Ein Vorschlag, der zwar den Generalbundesanwalt in Harnisch brachte, von Boeden und seinem bestens informierten Amt jedoch souverän aufrecht erhalten und vertreten wurde, wenngleich er gegen die Hardliner in den Reihen der CDU nicht durchzusetzen war. Und während zwar das bayerische Landeskriminalamt während des Hungerstreiks die Prognose in die Welt setzte, es stünden Anschläge bevor, tauchten in der vom Staatsschutz stets gut unterrichteten Springerpresse hier und da deutliche Hinweise auf, daß der Verfassungsschutz keineswegs mit „einer neuen Offensive der RAF“ rechnete. Damit behielt er recht.

Ehemalige Gefangene aus der RAF setzten unterdessen auf Verbreiterung der Forderung nach Zusammenlegung, reisten von Informations- zu Informationsveranstaltung und freuten sich über die offenen Ohren und die Unterstützung der Forderung „aus diesmal ganz anderen Kreisen“, wie etwa christlich orientierte Gruppen, den Gewerkschaften und auch der DKP. „Hier“, so hoffen ehemalige Gefangene wie auch die Gruppe der Angehörigen der politischen Gefangenen, „sind konkrete Ansätze für eine Diskussion und Auseinandersetzung auch mit neuen Kreisen.“

Raus aus den eingefahrenen Diskussionszirkeln

Und auch aus dem Knast kamen noch während des Hungerstreiks eindeutige Signale, daß sich die angepeilte politische Auseinandersetzung nicht in dem kleinen Kreis der vorrangig verbalen Apologeten des bewaffneten Metropolenkampfs abspielen soll. In ihrem Brief vom März dieses Jahres macht Eva Haule, verurteilt zu fünfzehn Jahren Gefängnis und inhaftiert in Stuttgart-Stammheim, einerseits klar, daß es nicht um eine Auseinandersetzung mit Protagonisten eines gesellschaftlichen Befriedungskonzepts gehe, jedoch um eine „viel politischere Auseinandersetzung als mit Leuten, die nur mit Formeln hantieren und sowieso alles fressen, was du ihnen erzählst“.

In einer solchen Diskussion, so Eva Haule, sei sie bereit, „sofort auch offen über unsere Fehler zu sprechen“. Ihr Resümee: „Es geht um neue Bestimmungen für den revolutionären Prozeß, für revolutionäre Politik auf allen Ebenen.“

In die gleiche Richtung zielt auch die Erklärung Gabriele Rollniks, verurteilt als Mitglied der ehemaligen „Bewegung 2.Juni“, die am Ende des Hungerstreiks gemeinsam mit Rolf Heißler an der Spitze der Streikkette stand: „Es geht um ein neues Verhältnis zur gesamten Linken.“ Und wer es bis dahin noch nicht so ganz glauben wollte, daß in diesem Streik tatsächlich die Voraussetzungen für eine breitere Auseinandersetzung geschaffen und keinesfalls die Bedingungen dafür zunichte gemacht werden sollten, der wurde bei der Erklärung zum Abbruch des Hungerstreiks durch Christa Eckes und Karl-Heinz Dellwo, die an der Schwelle zur Todesgefahr standen, hellhörig: „Wir nehmen also besonders für alle draußen die Zuspitzung jetzt weg, dann kann auch politisch jetzt weiter überlegt und in einem nächsten Anlauf gehandelt werden“, heißt es da.

„Knastphase

politisch abgeschlossen“

Hatte schon der Abbruch des Hungerstreiks vor den Pfingsttagen zu Verunsicherung und deutlicher Ratlosigkeit in Kreisen der harten Unterstützerszene geführt, so machte eine Information aus dem Kreis der Anwälte die Verwirrung komplett: Die Gefangenen seien bereit gewesen, im Gegenzug zu einer Zusammenlegung in größere Gruppen auf das Mittel des Hungerstreiks in Zukunft zu verzichten. So groß die Verwunderung bei den Unterstützern, so bruchlos paßt dies in die Interpretation, daß eine neue Phase eingeläutet werden soll. Und genauso fügen sich die Erklärungen der Gefangenen zum Abbruch des Streiks ins Bild. Karl-Heinz Dellwo schreibt: „Für uns ist diese ganze Knastphase politisch abgeschlossen. Wir sind da durch. Sie kriegen uns nicht klein. Wir sind ein zu diesem System antagonistisches politisches Kollektiv, das werden wir auch bleiben. Dieses Verhältnis untereinander steht und gibt den Raum, politisch weit darüber hinaus zu denken.“ Und: „Es gibt Situationen, da höhlt die Verlängerung einer ausgeschöpften Kraft alles nur noch aus, auch die zur politischen Weiterbestimmung. Davor standen wir. So haben wir einen Schnitt gemacht. Wir führen keine 'Endkämpfe‘.“ Er bekräftigt: „Wir wollen die Auseinandersetzung mit allen.“

Auch Eva Haule setzt in ihrer Erklärung zum Abbruch des Streiks ungebrochen und vehement auf die Perspektive Diskussion: „Sie muß, und ich glaube, sie kann jetzt von allen solidarisch zusammen geführt werden, die sich darin einig sind. (...) Wir müssen alle über die politische Entwicklung nachdenken und darüber, wie wir aus der veränderten Situation weiter die Bedingungen schaffen für uns und die Diskussion.“ Christian Klar richtete dies als direkten Appell nach draußen: „Alles muß sich fortbewegen über das Projekt der freien politischen Kommunikation mit draußen. Organisiert!“

Schnauze voll

Äußerungen, die es in der Tat bisher so nicht aus dem Knast gab. Einer, der jahrelang Gefangene besucht hat, formuliert es so: „Die haben die Schnauze voll, die wollen jetzt was Neues.“ Aus dem Kreis der ehemaligen Gefangenen wird das so kraß nicht formuliert: „Die Gefangenen haben ja an keiner Stelle ihre politischen Ziele in Frage gestellt, aber es geht ihnen um die Möglichkeit einer Neubestimmung, einer Analyse der Entwicklungen in der Diskussion.“

Das läßt alles offen. Und um die Frage nach Sinn und Unsinn des bewaffneten Kampfes hier und jetzt drücken sich bislang alle herum. Als Karl-Heinz Dellwo während des Hungerstreiks von einem Journalisten gefragt wurde: „Halten Sie es für möglich, daß am Ende eines Dialogs steht, die RAF beendet ihren bewaffneten Kampf?“, griff er auf die Formel zurück: „Wir sind die Gefangenen aus der RAF und dem Widerstand. Und als was anderes reden wir nicht. Wenn Sie Fragen an die RAF haben, müssen Sie unsere Genossen und Genossinnen draußen fragen. Die Gefangenen sind nicht die RAF.“

Sicher, die Gefangenen sind Gefangene und keine bewaffnete Armee-Fraktion. Und wenn sie auch nicht autorisiert sein mögen zu erklären, die RAF stelle den bewaffneten Kampf ein, so wird in einer Auseinandersetzung mit ihnen sicherlich die Frage nicht auszugrenzen sein, was sie denn 1989 in der BRD vom Konzept des bewaffneten Kampfes halten.

Genausowenig wie die Gefangenen aus der RAF sich politisch zu dieser sogenannten „Gretchenfrage“ äußern, wollen dies die ehemaligen Gefangenen: „Bewaffneter Kampf ja oder nein diese Frage haben die zu beantworten, die bewaffnet kämpfen.“

Die kämpfende Ebene schweigt sich aus

Und die bewaffnet kämpfende RAF? Die machte zuletzt im September vergangenen Jahres durch Schrotschüsse auf das fahrende Auto des Staatssekretärs Tietmeyer von sich reden, welches dank dieser ungewöhnlichen militärischen Praxis seinen Weg weitgehend unbeschadet fortsetzte. Eine ebenfalls an Ort und Stelle stationierte Maschinenpistole „klemmte“, wie das „RAF-Kommando Khaled Aker“ der staunenden Öffentlichkeit in einer nachgeschobenen Erklärung („Wir waren es wirklich“) versicherte. Seit dieser „Wir wollten, aber wir konnten nicht„-Erklärung schweigt sich die kämpfende Ebene aus und meldete sich auch während des Hungerstreiks nicht zu Wort - jedenfalls nicht öffentlich.

Der Chef des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Günther Scheicher, ließ unterdessen wissen, der Verfassungsschutz sehe die RAF derzeit in einem solchen desolaten Zustand, wie er noch nie zu verzeichnen gewesen sei. Dies scheint nicht völlig aus der Luft gegriffen. Andere Stimmen aus dem Sicherheitsapparat formulieren es sogar noch schärfer. Doch einmal dahingestellt, wie und wo sich die kämpfenden Ebene oder anders gesagt RAFler aus der Illegalität noch zu Wort melden werden - für eine Ebene hat der Apparat auf jeden Fall schon einmal Vorsorge getroffen: Begrenzt bis 1992 gibt es die Kronzeugenregelung.

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