: Grundschulen der Westbank werden wieder geöffnet
Am Samstag können die sechs- bis zehnjährigen PalästinenserInnen wieder regulären Unterricht besuchen / Flächendeckendes Bildungs- und Ausbildungsverbot seit Beginn des Palästinenseraufstands / Israelische Regierung gibt in- und ausländischem Druck nach ■ Von Beate Seel
Berlin (taz) - Zwei Tage vor einem palästinensischen Protesttag gegen das Bildungs- und Ausbildungsverbot in der Westbank hat der israelische Verteidigungsminister Jizchak Rabin die Wiedereröffnung der Grundschulen in der besetzten Westbank für den kommenden Samstag angekündigt. Die Untergrundführung des Aufstands hatte dazu aufgerufen, am Mittwoch in einen eintägigen Hungerstreik zu treten. Dieser Aufruf erging nicht nur an die Palästinenser in der Westbank und im Gaza-Streifen, sondern auch an diejenigen, die in der Diaspora leben. Ein Sprecher der israelischen Militärverwaltung in der Westbank sagte, auch für weitere Schulklassen könne der Unterricht in den nächsten Wochen wieder beginnen. Er ließ jedoch keinen Zweifel daran, daß die Schüler sich jeder politischen Kundgebung zu enthalten hätten.
Seit dem 4. Februar 1988, zwei Monate nach Beginn der Intifada, sind sämtliche Universitäten und mit kurzen Unterbrechungen auch die Schulen für die 320.000 Schüler und Studenten geschlossen. Damit ist das Schuljahr 1988/89 vollständig ausgefallen. Nach einer Zählung des UNO -Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) waren die Schulen in diesem Zeitraum ganze 40 Tage geöffnet. Die Besatzungsmacht hatte auch ein Angebot der UNRWA, einen Ersatzunterricht zu organisieren, kategorisch abgelehnt, ja sogar den Unterricht in Privathäusern verboten. Dennoch organisierten die Palästinenser in der Westbank einen alternativen Unterricht, der freilich die einschneidenden Folgen des Bildungsverbotes nicht auffangen konnte. Die offizielle Begründung für die Schließung der Schulen lautete, sie seien ein permanenter Unruheherd. Daher handele es sich um eine reine Sicherheitsmaßnahme. Doch auch nach der Schließung der Bildungsinstitutionen gingen Schüler und Schülerinnen weiter auf die Straßen, um gegen die Besatzungsmacht zu demonstrieren. Im Gaza-Streifen, wo es keinesfalls „ruhiger“ war, wurden zwar die Universitäten geschlossen, aber die Schulen blieben geöffnet - aus politischer Rücksichtname auf Ägypten, das mit Israel durch einen Friedensvertrag verbunden ist. Palästinensische Lehrer und Eltern in der Westbank halten die Maßnahme der Besatzungsbehörden daher nicht für eine Frage der Sicherheit, sondern eine kollektive Strafmaßnahme gegen die Bevölkerung. Angesichts des Kinderreichtums und des Wertes, der in der palästinensischen Gesellschaft auf eine gute Ausbildung der Kinder gelegt wird, ist praktisch jede Familie von dieser Maßnahme unmittelbar betroffen. Das gilt besonders für Eltern kleiner Kinder, denn bereits zwei Jahrgänge von Erstkläßlern konnten nicht ordnungsgemäß eingeschult werden. Hart getroffen sind auch Schülerinnen aus einem konservativen Elternhaus, für die der Unterricht häufig die einzige Gelegenheit ist, außerhalb des familiären Rahmens Kontakte zu knüpfen.
„Das auserwählte Volk der Heiligen Schrift hat damit ein schändliches Kapitel geschrieben“, kommentierte Dedi Zucker, Abgeordneter der oppositionellen Bürgerrechtspartei im israelischen Parlament, jüngst diese Maßnahme. Auch der israelische Erziehungsminister Jizchak Navon stellte den Schritt der Militärbehörden infrage. Zahlreiche israelische Dozenten, Lehrer und einige Gruppen von israelischen Eltern und Schülern hatten gegen die Schließung der Schulen protestiert. Der israelische Rundfunk sprach im Zusammenhang mit der Ankündigung Rabins davon, die USA und Westeuropa hätten starken Druck auf die Regierung in Jerusalem ausgeübt.
Mit der Wiedereröffnung der Grundschulen gibt Israels Regierung nicht nur dem palästinensischen und internationalen Druck nach, sondern setzt zugleich ein freundliches Zeichen in Richtung Washington. Dort wird dieser Schritt nach den vorhergehenden Auseinandersetzungen sicher mit Wohlwollen und Beruhigung aufgenommen werden auch wenn es nur der erste ist, dem weitere, die Öffnung der Mittelschulen, Gymnasien und Universitäten, folgen müssen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen