74 Todesurteile gegen Dev-Yol?

■ Ein Militärgericht will morgen die Urteile im Dev-Yol-Prozeß verkünden / 723 Menschen sind angeklagt / Geständnisse unter Folter erpreßt / Polizeieinsätze in türkischen Gefängnissen

Istanbul (taz) - Morgen wird vor dem Militärgericht Ankara die Urteilsverkündung im Prozeß gegen die linke Organisation Dev-Yol erwartet. Dev-Yol war bis zum Militärputsch 1980 in der Türkei die bedeutendste Organisation der unabhängigen Linken. Die Führungsgruppe der eher lose organisierten Dev -Yol ist des Versuchs angeklagt, „mit Gewalt die Verfassung der türkischen Republik aufzuheben“.

Der Mammutprozeß mit insgesamt 723 Angeklagten dauert seit acht Jahren an. Für 74 Personen fordert der Militärstaatsanwalt die Todesstrafe. Die Anklageschrift stützt sich fast ausschließlich auf „Geständnisse“ der Angeklagten, die in den ersten Monaten nach dem Militärputsch in Polizeihaft erpreßt wurden. Über 2.000 Personen sind nach dem Putsch in Zusammenhang mit dem Verfahren verhaftet und verhört worden. Vier starben während der Folter in Haft.

Zu gewalttätigen Polizeieinsätzen kam es am vergangenen Wochenende auch in dem Istanbuler Gefängnis Bayrampasa. Mit Schlagstockeinsatz und Steinwürfen endete der Besuchstag von Familienangehörigen politischer Gefangener. Anläßlich des Opferfestes, einer der bedeutenden türkischen Feiertage in der Türkei, war ein offener Besuchstag angekündigt worden. Doch nur eine Gruppe von 40 Personen wurde eingelassen. In Bayrampasa sitzen rund 300 politische Gefangene ein, und rund 1.000 Menschen begehrten Einlaß in den Knast.

Unter Protest setzten sich Hunderte abgewiesener Besucher vor das Gefängnistor, bis Einsatztruppen der Polizei sie auseinanderpügelten. Dutzende Verletzte sind die Bilanz des Polizeieinsatzes. Unter anderem wurden drei Journalisten verletzt. So brachen Polizisten den Arm des Fotoreporters der Tageszeitung 'Günaydin‘, Murat Ide, der ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Rund 20 Personen wurden während des Knüppeleinsatzes verhaftet. Sie befinden sich zum „Verhör“ in dem Zentrum der politischen Polizei Istanbul.

Auch in dem Gefängnis Eskisehir wurden keine Besucher eingelassen. Seit 17 Tagen befinden sich dort über 190 politische Gefangene im Hungerstreik. Sie protestieren gegen die Verschärfung der Haftbedingungen, nachdem ein Fluchttunnel entdeckt worden war. Drei Gefangene sind mit Magenblutungen ins Krankenhaus eingeliefert worden. Das Büro des „Vereins für Menschenrechte“ in Eskisehir, Zentrum der Solidaritätsarbeit mit den Hungerstreikenden, wurde von Polizei durchsucht und per polizeilicher Vollmacht geschlossen. Verbotene Literatur sei in dem Vereinsbüro gefunden woren, berichtete ein Polizeisprecher.

Ömer Erzeren