„Das wäre vielleicht eine Kurzgeschichte wert“

Der Berliner Krimi- und Drehbuchautor Horst Bosetzky (-ky) zu den Bombendrohungen gegen die Hertie-Kaufhäuser: Wer ist der große Unbekannte? Ein gekündigter Angestellter? Ein Erpresser? Rumpelstilzchen? / Erinnerungen an den Bundesbahn-Attentäter „Monsieur X“ werden wach...  ■ I N T E R V I E W

taz: Guten Tag, Malzahn, taz Berlin. Ich wollte Sie fragen, ob Sie mir ein Interview zu den Bombendrohungen gegen Hertie geben.

ky: Wieso rufen Sie mich da an? Glauben Sie, ich war das?

Och, es gibt ja schon Schriftsteller und Journalisten, die die Ereignisse, über die sie schreiben, auch selbst produzieren. Aber mal im Ernst: Anonyme Anrufe bei Springer, Bomben im Hertie-Weinregal, eine zertrümmerte Spielzeugabteilung des Kaufhauskonzerns in Neukölln. Reizt Sie der Plot zu einem Kriminalroman?

Das würde ich gar nicht mal sagen. Bei mir hat diese Geschichte noch nicht gezündet. Ich hab das nur in den Medien immer verfolgt, aber das Gefühl, daß das in meinen Zettelkasten gehört, hatte ich dabei bisher nicht.

Sie schneiden die Zeitungen täglich aus und verarbeiten die Artikel dann?

Das schon, wenn's halbwegs interessant erscheint. Aber hier schien mir das schon gegessen und ein bißchen so wie die berühmte ausgelutschte Zitrone. Wer soll's denn schon gewesen sein? Ein gekündigter Angestellter vielleicht, der sich irgendwie rächen will - da gibt's aus den USA schon 'ne Menge Geschichten, oder vielleicht doch 'ne politische Sache, die sich gegen den Hertie-Konzern richtet, der möglicherweise Waren aus Südafrika verkauft, oder, das weiß ich nicht genau, Menschen in Ländern der Dritten Welt für sich arbeiten läßt und so ausbeutet...

Es gibt ja bisher überhaupt keine Hinweise auf einen möglichen Täter - sagt zumindest die Polizei.

Na das glaub ich nun wieder auch nicht. Das ist wohl eher ein fahndungstechnischer Trick. Das einzige, was mich als Krimi-Autor jetzt auch durch ihren Anruf reizen würde, wäre vielleicht ein weiteres Motiv: Daß da jemand die Bomben gelegt hat, um nun mal ein Echo in seinem Leben zu haben, um endlich einmal Aufmerksamkeit zu finden. Da könnte ich mir einen kleinen, überall zu kurz gekommenen, unterdrückten Menschen vorstellen, der endlich auch mal Spuren hinterlassen will. Das wäre einer, der jetzt zu Hause sitzt und zum ersten Mal in seinem Leben euphorische, orgiastische Gefühle hat und die ganze Aufregung mitverfolgt und sich denkt: Ach, wie gut das niemand weiß, das ich Rumpelstilzchen heiß. Die ganze Stadt gerät durcheinander und er freut sich diebisch. Das könnte mich reizen als Stoff. Auch als Soziologe. Man muß sich doch nicht wundern, daß in einer Gesellschaft, die so viel Wert auf Individualismus und Hedonismus legt, die mit ihren Film und Fernsehproduktionen laufend solche Omnipotenzphantasien anheizt, solche Dinge wahrscheinlich werden. Denn die realen Chancen, ein James Bond zu werden, sind doch außerordentlich gering. Und ein Gefühl von Allmacht bekommt man sicherlich durch solche Aktionen. Von daher wäre eine Kurzgeschichte darüber vielleicht ganz interessant.

Gibt es denn vergleichbare Fälle in der authentischen Kriminalgeschichte? Daß jemand aus Daffke Bomben bastelt und auf Kaufhäuser verteilt?

Also nehmen wir mal an, daß es sich nicht um Erpressung handelt, was wir beide ja gar nicht genau wissen. Dann läge der Eisenbahnerfall mit „Monsieur X“ etwas ähnlich. Der hat ja aus einem ähnlichen Motiv heraus gehandelt, um sozusagen eine Figur der Zeitgeschichte zu werden. Das war in den siebziger Jahren, wo jemand im süddeutschen Raum laufend Attentate auf die Bundesbahn verübt hat, zwar auch in erpresserischer Absicht, aber auch sehr stark mit dem Motiv verbunden, nun überall in den Annalen der Zeitgeschichte verzeichnet zu sein. Das ist ihm ja auch gelungen.

Er hatte also keine ausgesprochene Abneigung gegen die Bundesbahn?

Nee. Das war keine traumatische Sache, daß sein Vater bei der Bundesbahn gefeuert worden ist oder sowas.

Auffällig finde ich im Moment, daß es ausschließlich Kaufhäuser der Hertie-Kette sind.

Das legt natürlich die erste These nahe, daß es irgendein Racheakt eines Hertie-Bediensteten ist. Aber das wird die liebe Polizei sicherlich schon überprüfen. Das hab ich auch schon in einer meiner Geschichten als Motiv verwendet.

Welche war das?

„Herr Düring stirbt nicht gern allein“.

Halten Sie es für möglich, daß die Polizei Nachrichtensperre verhängt hat? Es gibt ja keinen Hinweis, auch der Zusammenhang zur KaDeWe-Erpressung des vergangenen Jahres wird dementiert.

Das wäre natürlich der zweite Gag, den ich mir als Krimi -Autor vorstellen könnte. Daß nämlich der jetzige Täter derjenige ist, der die Polizei im vergangenen Jahr so geleimt hat. Da wurden 500.000 Mark aus der S-Bahn geworfen und der Täter konnte entkommen. Daß wäre vielleicht auch eine Kurzgeschichte wert. Und da kann ich mir schon vorstellen, daß die Polizei nicht zugibt, daß sie schon wieder reingelegt werden soll.

Trauen Sie sich noch, im Moment bei Hertie einzukaufen?

Doch, doch. Nicht direkt bei Hertie, sondern bei Wertheim, aber das gehört ja auch zu der Kette. Wenn ich da jetzt reingehe, dann mit einem sehr mulmigen Gefühl. Und natürlich auch mit dem berufsmäßigen Interesse, herauszufinden, wieviele Zivilpolizisten und Kaufhausdetektive da jetzt rumlaufen. Das macht schon Spaß. Ich fühl mich dann wie in einem Flugzeug, das jeden Moment abstürzen könnte. Die Wahrscheinlichkeit, daß da wirklich eine Bombe hochgeht, ist ja relativ gering. Trotzdem, für das Gefühl, was ich da habe, gibt es sogar einen psychologischen Fachausdruck: Angstlust.

Dann kaufen jetzt möglicherweise aus „Angstlust“ mehr Leute bei Hertie ein als vorher?

Ach Gott, was kann einen richtigen Deutschen denn schon vom Einkaufen abschrecken?

Interview: Claus Christian Malzahn