: Bombenstimmung
Mutmaßungen zur Bomben-Serie gegen Hertie ■ K O M M E N T A R
Vier Bomben gegen Kaufhäuser sind etwas anderes als vier Bomben gegen Hertie. Wenn anfangs noch spekuliert werden konnte über die Motive des oder der Täter(s), hat sich dies mit der wachsenden Zahl der Anschläge von selbst erledigt. Statt ungezielten Terrors gegen Kaufhäuser im allgemeinen ob aus politischen Gründen oder geistiger Verwirrung bleibt als Motiv nur noch Erpressung gegen den Hertie -Konzern.
Weil das Unternehmen und die Polizei zu einer solchen Version hartnäckig schweigen, ist man auf Vermutungen angewiesen. Bei den Strafverfolgungsbehörden wird betont, es sei bislang weder ein Erpressungsschreiben noch eine Geldforderung eingetroffen. Man muß es glauben; besonders, weil die Polizei selber auf eine wahrheitsgemäße Information durch den Hertie-Konzern angewiesen ist. Doch je länger die Bombenserie wird, je größer die Gefahr von Opfern unter den Kunden der Kaufhauskette wird, um so mehr wächst das Unbehagen. Es macht keinen Sinn, unter hohen Risiken vier Bomben zu plazieren, ohne daraus Forderungen abzuleiten. Ein Geisteskranker ist wohl nach allen vorliegenden Informationen als Täter auszuschließen, auch sind die Sprensätze viel zu professionell gefertigt. Vieles spricht also dafür, daß Verhandlungen mit einem Erpresser längst im Gang sind. Die immer neuen Bomben müssen dann als Erinnerungen an einen zahlungsunwilligen Konzern verstanden werden.
Wie gesagt, dies ist eine bloße Mutmaßung. Die Polizei beteuert, sie halte keine Informationen zurück. Auch eine Nachrichtensperre gäbe es nicht. Es liegt in der Natur der Sache, über solche Nachrichtensperren nicht zu reden. Man erfährt nachträglich davon: eine mehrtägige Nachrichtensperre gab es während der Erpressung des KaDeWe vor über einem Jahr, als ein immer noch unbekannter Täter ebenfalls mit einem deponierten Sprengsatz eine halbe Million Mark erpreßte.
Die Polizei betont, der damalige Sprengsatz sei völlig anderer Bauart als die jetzt gefundenen Bomben; es handele sich nicht um den gleichen Täter. Eines aber gleicht dem damaligen Erpressungsfall: Die Polizei ist bestrebt, Hertie nicht das Geschäft zu verderben. Der Verkaufsbetrieb läuft normal weiter; bei Bombenfunden werden nur die direkt betroffenen Abteilungen geräumt. Jeder kann sich ausmalen, welche Panik entstünde, wenn - was keiner sich wünscht eine der Bomben während der Entschärfung explodierte. Die Aufgabe der Polizei ist es, den Täter zu ermitteln - der Schutz der Bevölkerung aber muß dabei im Vordergrund stehen. Eine Verpflichtung dagegen, einem Unternehmen den Gewinn zu sichern, gibt es nicht. Prekär wäre es außerdem, wenn das Bestreben des Konzerns, kein Geld zahlen zu wollen, Menschenleben gefährdet. Das tödliche Ende des Geiseldramas von Gladbeck sollte gelehrt haben, daß es sinnvoller ist, die Erpresser mit dem Geld ziehen zu lassen, um eine Gefährdung zu beenden. Fahnden kann man auch noch hinterher; Tote aber macht keiner mehr lebendig.
Gerd Nowakowski
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