Die Lex Gladbeck

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung für den finalen Rettungsschuß im Wortlaut  ■ D O K U M E N T A T I O N

Das Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes (UZwG) vom 10.März 1961 wird wie folgt geändert:

1. §12 wird wie folgt geändert:

a) Absatz 2 erhält folgende Fassung:

„(2) Schußwaffen dürfen gegen Personen nur gebraucht werden, um angriffs- oder fluchtunfähig zu machen. Ein Schuß, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich wirken wird, ist nur zulässig, wenn er das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Lebensgefahr oder der gegenwärtigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist.“

b) Es wird folgender Absatz 4 angefügt:

„(4) Der Schußwaffengebrauch ist unzulässig, wenn für den Vollzugsbeamten erkennbar Unbeteiligte mit hoher Wahrscheinlichkeit gefährdet werden. Das gilt nicht, wenn der Schußwaffengebrauch das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Lebensgefahr ist.“

2. §13 Absatz 1 erhält folgende Fassung:

„(1) Die Anwendung von Schußwaffen ist anzudrohen. Als Androhung gilt auch die Abgabe eines Warnschusses. Von der Androhung kann abgesehen werden, wenn die Anwendung von Schußwaffen zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben erforderlich ist. Die Anwendung von Schußwaffen gegen eine Menschenmenge ist stets anzudrohen; die Androhung ist vor der Anwendung zu wiederholen.“

1. Ziel des Entwurfs

Ziel des Entwurfs ist es, durch Aufnahme der im Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder von 1977 (ME) enthaltenen Regelung für den mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich wirkenden Schuß in das UZwG des Bundes die Rechtssicherheit beim Schußwaffengebrauch in besonderen Situationen, insbesondere bei Geiselnahmen, zu erhöhen und damit gleichzeitig die Fähigkeit der Polizei zur Bewältigung solcher Situationen zu verbessern.

Insoweit verfolgt der Entwurf auch das Ziel, zur gebotenen weiteren Vereinheitlichung des materiellen polizeilichen Befugnisrechts in Bund und Ländern beizutragen.

2. Erforderlichkeit der Novellierung

Jüngste Ereignisse („Gladbecker Geiseldrama“) haben erneut gezeigt, daß die Polizei vor der Entscheidung stehen kann, ob sie zur Rettung von Menschen aus gegenwärtiger Lebensgefahr oder zur Verhinderung schwerwiegender körperlicher Verletzungen auf einen Geiselnehmer oder einen sonstigen rechtswidrig handelnden Angreifer einen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich wirkenden Schuß abgibt.

Eine eigenständige gesetzliche Regelung für einen derartigen Schußwaffengebrauch (sog. finaler Rettungsschuß) gibt es in den Bundesländern Bayern, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz, die in ihre Polizeigesetze die im Musterentwurf enthaltene Regelung des finalen Rettungsschusses (§41 Abs.2 Satz 2 ME) übernommen haben. In den einschlägigen Polizeigesetzen der übrigen Bundesländer sind zwar keine ausdrücklichen Regelungen für den finalen Rettungsschuß enthalten. Seine rechtliche Zulässigkeit wird jedoch allseits bejaht. Als Rechtsgrundlage für den finalen Rettungsschuß werden in diesen Ländern teilweise die allgemeinen Bestimmungen über den polizeilichen Schußwaffengebrauch, teilweise die allgemeinen strafrechtlichen Notwehr- und Nothilfevorschriften herangezogen.

Auch das UZwG des Bundes enthält bisher keine spezielle Regelung für den finalen Rettungsschuß. (...)

Im wesentlichen geht es bei der Diskussion über die Erforderlichkeit einer eigenständigen Regelung für den finalen Rettungsschuß um folgende Probleme:

Bei Geiselnahmen hat die Polizei unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr in erster Linie Maßnahmen zum Schutz und zur Befreiung der Geiseln zu treffen; die Gesichtspunkte der Strafverfolgung - Ergreifung der Täter - treten demgegenüber zurück. (...)

Nach §12 Abs. 2 UZwG (und den entsprechenden Ländervorschriften) darf der Zweck des Schußwaffengebrauchs allerdings nur sein, angriffs- oder fluchtunfähig zu machen. Aus dieser Formulierung hat sich die Streitfrage ergeben, ob die Vorschrift auch einen Schuß erlaubt, der mit an Sicherheit gerenzender Wahrscheinlichkeit tödlich wirkt, wenn anders die Lebensgefahr für die Geisel nicht beseitigt werden kann. Wie die Erfahrungen aus der polizeilichen Praxis zeigen, begünstigen diese Zweifel, unabhängig davon, ob man sie teilt oder nicht, den Rückgriff auf die strafrechtlichen Notwehrbestimmungen. Deren Anwendung wirft jedoch neue Probleme auf.

Zwar ist bei Geiselnahmen ein solch tödlich wirkender Rettungsschuß strafrechtlich als Nothilfe grundsätzlich gerechtfertigt (§32 StGB). Zweifelhaft ist in diesem Zusammenhang jedoch insbesondere, ob die Bestimmungen des Strafgesetzbuches über Notwehr und Nothilfe, die Verhaltensweisen von Privatpersonen im Verhältnis zueinander rechtfertigen, geeignete Rechtsgrundlagen für die schärfste Form hoheitlichen Handelns, den unmittelbaren Zwang, sind. (...)

Erachtet man den tödlich wirkenden Rettungsschuß allein unter dem Gesichtspunkt der Nothilfe und nicht schon auf Grund der Vorschriften über den unmittelbaren Zwang für zulässig, ergibt sich die weitere Problematik, ob der Polizeibeamte einer Weisung seiner Vorgesetzten, auf der Grundlage der strafrechtlichen Notwehrvorschriften zu schießen, folgen muß, und wie dann seine strafrechtliche, zivilrechtliche und dienstrechtliche Verantwortung zu beurteilen ist. Angesichts dieser Problematik ist eine öffentlich-rechtliche Ermächtigungsgrundlage für den finalen Rettungsschuß eher geeignet, den handelnden Beamten von der ihm obliegenden Entscheidungsverantwortung zu entlasten und den verantwortlichen Polizeiführer in die Verantwortung miteinzubeziehen.

All dies spricht für eine eindeutige öffentlich-rechtliche Regelung des Schußwaffengebrauchs in Situationen, die gleichzeitig auch eine Notwehrsituation darstellen. (...)

Die Gefährdung Unbeteiligter wird entsprechend §41 Abs. 4ME in Kauf genommen, wenn der Schußwaffengebrauch das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Lebensgefahr ist (Artikel 1 Nr.1 Buchstabe b). Der Entwurf trägt damit der Tatsache Rechnung, daß die Eingriffsmöglichkeiten im Hinblick auf die Gefährdung Unbeteiligter bei den hier in Rede stehenden Einsatzlagen zur Zeit gesetzlich nicht befriedigend geregelt sind. (...)