: Befangenheitsantrag im Startbahn-Prozeß
■ Verteidigung will Ablehnung von drei Richtern der Staatsschutzkammer / Sie hatten Haftfortdauer für Andreas S. angeordnet / Vorwürfe hatten bereits zur Einstellung des Verfahrens durch die Bundesanwaltschaft geführt / Sofortige Entscheidung des Antrags abgelehnt
Frankfurt (taz) - Die Verteidigung im Startbahn-Prozeß vor der Staatsschutzkammer des Oberlandesgerichts Frankfurt hat am gestrigen Verhandlungstag einen neuen Befangenheitsantrag gegen drei Richter des 5. Strafsenats eingebracht. Wie Rechtsanwalt Martin Heimen erklärte, „besteht die Besorgnis der Befangenheit gegen den Senatsvorsitzenden Schieferstein sowie die Richter Klein und Kern“. Die drei Juristen hatten in ihrem Beschluß vom 7.Juli '89 eine Haftfortdauer von Andreas S. angeordnet (die taz berichtete). Der Senat lehnte die sofortige Entscheidung des Antrags ab.
Zur Begründung des Antrags erklärte der Rechtsanwalt von Andreas S., die Richter hätten aufgrund „dringenden Tatverdachts“ an der Inhaftierung festgehalten. Dabei hätten die drei Staatsschutz-Richter Vorwürfe gegen S. angeführt, die bereits im April 1988 bekannt waren und damals zur Einstellung des Verfahrens mangels „hinreichendem Tatverdacht“ durch die Bundesanwaltschaft (BAW) geführt hatten. „Wenn aber selbst die BAW einen hinreichenden Tatverdacht verneinte, wie kommt dann der Senat an Hand der gleichen Vorwürfe plötzlich zu einem dringenden Tatverdacht?“ fragte Rechtsanwalt Heimen.
Hauptaspekt der Prüfung des Haftbefehls „war das linguistische Gutachten“ des BKA-Mathematikers und Nichtlinguisten Ulrich Perret. Aufgrund der Expertisen war S. im Juli 1988 erneut verhaftet und wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ angeklagt worden. Das Gutachten wies den Wiesbadener Startbahngegner als angeblichen Autor von Bekennerschreiben der Revolutionären Zellen aus. Im Prozeß hielt die „unwissenschaftliche Erbsenzählerei“ nicht stand: Nach mehrtägiger Vernehmung des BKA-Sachverständigen mußte dieser einräumen, daß es lediglich „verdachtsverstärkende Tendenzen“ gegen S. gebe. Die BAW habe seine Ergebnisse überbewertet. In einer Erklärung Anfang Juli hatte daraufhin Bundesanwalt Pflieger das Perret-Gutachten fallengelassen.
„Daß der Senat mit seiner Entscheidung über den Haftaufhebungsantrag ausdrücklich die Perret-Gutachten abgewartet hat, zeigt, daß auch der Senat die Anklage gegen S. allein auf die umstrittenen Gutachten gestützt sah“, erklärte Heimen. Seit 1988 hätte es außer dem Skandal -Gutachten - das der Senat bei seinem Beschluß nicht berücksichtigte - keine neuen Verdachtsmomente gegeben, die als Rechtfertigung für einen „dringenden Tatverdacht“ herangezogen werden könnten. Mit der Anordnung der Haftfortdauer aus „dringendem Tatverdacht“ hätten die Richter Andreas S. „vorzeitig verurteilt“. Dies sei um so mehr zu kritisieren, als sich der Senat auch auf Aussagen von angeklagten beziehungsweise verurteilten Startbahngegnern berufen habe. Die aber hätten ihre belastenden Aussagen gegen S. längst revidiert.
Unterdessen geht die Zeugeneinvernahme weiter. Gestern wurden Polizeizeugen zu Anschlägen auf die Dresdner Bank und zu einem umgelegten RWE-Strommast bei Mörfelden-Walldorf gehört. Ihre Vernehmung brachte keine Neuigkeiten. Rechtsanwalt Thomas Scherzberg sorgte, wie schon am Verhandlungstag zuvor, für allgemeine Erheiterung auf den Zuschauer- und Pressebänken und für Unverständnis beim Senat: Scherzberg entläßt keinen Zeugen, egal, zu was er einvernommen wurde, unvereidigt aus dem Zeugenstand. Hintergrund der Fließband-Vereidigungen ist ein Streit zwischen Scherzberg und der Staatsschutzkammer, durch deren Verfahrensführung sich Scherzberg behindert fühlt.
Michael Blum
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