: Der Jetztzeit-Archäologe
■ Hartmut Bitomskys „VW-Komplex“ in Eins Plus, 21.30 Uhr
Ein Film über einen Autokonzern, der dort beginnt, wo der Traum vom Fahren am Ende ist, muß von Hartmut Bitomsky stammen. Nur er darf einen Schwenk über den Schrottplatz vor all das setzen, was die Erfolgsstory von VW ausmacht; nur er allein kann auf die Idee kommen, daß Archäologen in kommenden Jahrtausenden wenig Freude mit dem Fundstück Auto haben werden, weil es bereits vorher ausgeschlachtet, zu Blechwürfeln gepreßt oder zu Rohstoff eingeschmolzen worden ist. Nichts wird zurückbleiben. Kein Skelett. Nicht einmal ein Abdruck im Gestein.
Hartmut Bitomsky ist der Jetztzeit-Archäologe des deutschen Dokumentarfilms. Einer, der sich auf einem Terrain bewegt, das im Jetzt und auch in Zukunft schon Vergangenheit ist. Jede Scherbe, die er findet, scharrt er sorgfältig aus dem Grund, wischt den Staub weg und legt sie vor die Linse seiner Kamera. So entsteht ein Film, der mehr ist als ein Haufen von Fakten über NS-Gründerjahre, Nachkriegsexpansion und moderne Autoproduktion mit den bekannten Folgen Automation und Massenentlassungen.
Wenn Bitomskys Blick auf die menschenleere Geisterbahn fällt, die aus allen Sektionen der Fabrik Einzelteile zum Ort der Produktion heranschafft, braucht er keine dräuende Musik, um das Gespenstische dieser Situation zu erfassen. Obwohl es gelegentlich den Anschein hat, als ob Bitomsky sich im Preßwerk und in der Lackiererei, in der Fußgängerzone von Wolfsburg und in der Wochenschau der Grundsteinlegung des Werkes verlieren würde, stößt er immer wieder auf die Hauptsache: die Industriearbeit. Sie verschwindet nach und nach. Arbeiter werden durch Roboter ersetzt. Wohin das führen wird, ahnt Bitomsky nur: Der VW -Komplex als versunkener Schatz einer fernen Kultur. Nur der Konzern will von alledem nichts wissen und bringt den stotternden Ingenieur hervor, der den Glanz des Fortschritts verbreiten soll. Aber nicht einmal mit seinen eigenen Worten kann der gute Mann beschreiben, wie die neueste Variante einer vollautomatischen Fertigungsstraße funktionieren wird. Das übersteigt sein Vorstellungsvermögen; aber Arbeitsplätze wird es wieder kosten. Hartmut Bitomsky steht daneben und klopft lakonisch den Staub der Industriegeschichte von seinen Entdeckungen und bringt so die Wahrheit ans Licht: „Mit jedem Arbeitsplatz, der abgebaut wird, geht ein potentieller Autokunde verloren.“
chrib
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