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Der Körper läßt sich nicht überlisten

Die Psychotherapeutin Sabine Ulmer-Otto macht Gruppentherapie mit Frauen, die sich mit künstlichen Befruchtungsmethoden ihren Kinderwunsch erfüllen wollen  ■  I N T E R V I E W

taz: Künstliche Befruchtungsmethoden sind oft eine körperliche und seelische Tortur. Warum unterwerfen sich ihnen trotzdem immer mehr Frauen?

Ulmer-Otto: Weil sie meinen, daß dies die letzte Hoffnung für sie ist. Und je länger die Behandlung dauert, desto mehr steigt der Erwartungsdruck. Wenn dann doch die Regel immer wieder einsetzt, obwohl die Ärzte alles an ihnen probiert haben, was technisch möglich ist, stürzen viele in tiefe Depressionen. Oftmals fühlen sie sich schuldig, weil ihr Körper nicht richtig funktioniert.

Viele brechen ab ohne den gewünschten Erfolg. Warum?

Die In-vitro-Fertilisation funktioniert in 90 bis 95 Prozent aller Fälle nicht. Der Körper läßt sich nicht überlisten, schon gar nicht mit diesen Methoden. Die Frauen müssen sich eingestehen, daß nicht alles machbar ist. Das ist ein schwerer Schritt und oft mit großer Trauer verbunden. Wann es ihnen gelingt, hängt davon ab, wie sehr sie verdrängen können, welchen entwürdigenden Mechanismen sie sich aussetzen, wie Sexualität degradiert wird auf den Zeugungsakt. Viele können das Hochschnellen der Erwartungen am Anfang des Zyklus nicht mehr ertragen. Sie fangen an, Hormone zu nehmen, Temperatur zu messen, regelmäßig zum Ultraschall zu gehen. Dann kommt die Zeit des Eisprungs, da wird dann gezielt und geplant der Geschlechtsverkehr vollzogen. Danach heißt es abwarten. Die Frauen beobachten sich selbst, jedes mögliche Anzeichen für eine Schwangerschaft. Da sind sie pausenlos mit ihrem Kinderwunsch beschäftigt.

Wie kommt es zu einem so zwanghaften Kinderwunsch?

Einmal hat das sehr viel mit der Erziehung zu tun. Es gehört heute immer noch zum Frausein, die eigene Biologie auszuleben, ein Kind zu bekommen. Das gilt auch für politisch bewußte Frauen, die glauben, sich von diesen Erwartungen gelöst zu haben. Es sind überwiegend Frauen über dreißig, die Torschlußpanik haben, weil die Gebärfähigkeit nachläßt und die Wechseljahre nahen. Frauen mit Abitur, Studium, Beruf und Partnerschaft. Sie denken, sie haben alles in ihrem Leben erreicht. Plötzlich wollen sie auch noch ein Kind. Sie meinen, sie müßten sich nur genügend anstrengen, sich richtig verhalten, dann klappt es schon. Eine Einstellung, die in dieser Gesellschaft ja üblich ist.

Zu mir kommen überwiegend Frauen aus sozialen Berufen, die dort sehr viel Engagement aufbringen müssen. Manchmal stelle ich in der Gruppentherapie die Frage, ob sie im Beruf ihre Mütterlichkeit nicht schon ausgelebt haben, ob sie dort soviel investieren, daß der Körper nicht mehr genug Kraft und Energie aufbringen kann.

Kinderwunsch als Selbstverwirklichungstrip der Frau? Mir wird angst und bange, wenn ich an die zukünftigen Kinder denke.

Was für ein Erwartungsdruck liegt auf einem Kind, in das soviel investiert wurde. Es muß aber unterschieden werden zwischen Frauen, die ein Kind wollen, weil sie mit ihm leben, es aufziehen wollen, und denen, die schwanger werden wollen, um sich zu bestätigen, ihre biologischen Fähigkeiten auszuleben. Es gibt Frauen, die nach langwierigen Prozeduren endlich schwanger sind und dann abtreiben lassen, weil sie mit der Situation nicht klarkommen. Andere lernen zu akzeptieren, daß sie selbst kein Kind bekommen können und entscheiden sich für eine Adoption. Das ist ein ganz entscheidender Schritt - vom leiblichen Kind Abschied zu nehmen und ein anderes anzunehmen.

Interview: Ulrike Helwerth

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