: Der Philosoph und die Weißwurst
■ Heute beginnt das Halbfinale im Davis-Cup zwischen der BRD und den USA / Viele Menschen sind unglücklich
Die Leute stellen sich das so leicht vor: Hier mal einen Fernsehvertrag aushandeln, dort einer neuen Tennisveranstaltung das Leben einhauchen, und überall ganz nebenbei die Kontonummer liegenlassen. Aber so einfach hat er es wirklich nicht, der Ion Tiriac. Beim Davis-Cup in München muß der Rumäne feststellen, dies sei „eine Sache, bei der alle unglücklich bleiben“. Mehr als 12.000 Plätze hat die Olympiahalle nun einmal nicht, und da sind selbst einem, der sonst keine Grenzen kennt, welche gesetzt.
Das ist schon traurig, und bei dem Gedanken hängen die Spitzen von Tiriacs Schnurrbart noch ein bißchen wehmütiger nach unten als sonst. Alle wollen Eintrittskarten, doch woher soll er sie nehmen? Die Geschäftswelt - heimisch wie international - wird ja bereits bevorzugt behandelt und ist „trotzdem sauer“, klagt er, vom normalen Tennisvolk ganz zu schweigen. Dem stehen ganze 2.500 Tickets zur Verfügung, verteilt per Losverfahren. Und neben all dem Unmut muß der umtriebige Manager auch noch „3.500 VIPs zufriedenstellen, mein lieber Freund“.
Und über den Tag hinaus denken. Stillstand bedeutet Rückschritt, weshalb Überlegungen angestellt werden dergestalt: Was wird aus Deutschland nach Boris Becker? Ist das Land reif, eine Tennisnation zu sein? Ganz schön „philosophische Fragen“ (Tiriac). Die Wirte der Münchner Innenstadt schätzen da eher das Handfeste. Als „verantwortungsvolle Imageträger“ (Eigenwerbung) unterbrachen sie kurzzeitig das Training von Becker und Carl -Uwe Steeb, der mit dem Wimbledonsieger als Einzelspieler nominiert wurde, um den „Super-Botschaftern des Landes“ einen neu geschaffenen Ehrenpreis zu überreichen: Die goldene Weißwurst, ein mächtiger Phallus auf kleinem Marmorsockel.
Dann drängte Niki Pilic wieder zur Arbeit. Schließlich geht es von heute ab im Halbfinale des Davis-Cup nicht gegen irgendwen. Auch wenn John McEnroe wegen „rotator cuff tendonitis of the left shoulder“ (offizielles Bulletin) nicht mit angereist ist, sein Vertreter im US-Team, Brad Gilbert, steht in der Weltrangliste immerhin auf Platz 14. Und neben Andre Agassi, der gegen Steeb schon einen verbalen Smash losgelassen hat („Er wird mich noch richtig kennenlernen, und zwar von einer Seite, die ihm gar nicht gefallen wird.“), ist auch noch das im Davis-Cup bislang ungeschlagene Doppel Ken Flach/Robert Seguso dabei (gegen Becker/Jelen).
US-Kapitän Tom Gorman gibt sich deshalb ganz amerikanisch unbescheiden. Wenigstens sei „die Vorfreude in Deutschland ungetrübt“, sagt der Preisträger der „USTA William M. Johnston„-Auszeichnung. Die wird für „Sportlichkeit, Charakter und Benehmen“ verliehen, aber später muß Gorman dann einmal den gleichen Kommunikations-Workshop wie Christoph Daum mitgemacht haben: „Unsere neue Mannschaft wird auf jedem Boden, den es gibt, gegen die Bundesrepublik Deutschland gewinnen.“
Die Gastgeber nämlich haben das Recht, sich den Spielbelag auszusuchen, weshalb in München ein sonst wenig üblicher Teppich ausgelegt wurde: langsamer als Gras, aber schneller als Sand. Was nun wiederum Brad Gilbert ziemlich witzig findet, denn der hat „in meinem Haus einen ähnlichen“. So recht ernst zu nehmen sind die Kalkulationen ja sowieso nicht, die den Davis-Cup-Spielen vorausgehen: Die Amerikaner haben im Doppel einen Punkt sicher, und wenn Becker seine zwei Einzel gewinnt, muß... usw.
Milchmädchenrechungen allesamt. (Die ja sowieso umstritten sind: Das Referat für Gleichstellungsfragen - Frauenbüro der Stadt Hannover möchte da schon lieber „ein einfaches Rechenexempel“ stehen sehen, was der 'Titanic‘ wiederum zu unpräzise ist. „Eine simplifizierte Rechenmethode, die zu zumindest anfechtbaren Ergebnissen führt“, wird dort zur Verwendung vorgeschlagen.) Dabei ist es doch so einfach: Wer zuerst drei Matches gewonnen hat, steht im Finale.
Dort wartet entweder das favorisierte Schweden oder Jugoslawien, und Ion Tiriac müßte eventuell wieder eine ganze Reihe Menschen unglücklich machen. Bis auf die vom Deutschen Tennis Bund (dem bleiben diesmal bei einem Umsatz von 7 Millionen hübsche 1,5 Mio. Netto) und die Fern-Seher: Beim Davis-Cup gibt es keine Kabelschranken, da sitzen alle ganz weit vorn.
Thömmes
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