: Vom atomaren „Modellfall“ zum „Verbrechen“
Nach 15 Jahren Vertuschung kommt in Bonn die Wahrheit über die deutsch-brasilianische Atomkooperation ans Licht / Firmen und Ministerien halfen wissentlich dem militärischen Atomprogramm Brasiliens / SPD fordert Kündigung des Regierungsabkommens ■ Aus Bonn Charlotte Wiedemann
Vor mehr als zwölf Jahren, im Februar 1977, wandten sich 98 Mitarbeiter des Berliner Hahn-Meitner-Instituts für Kernforschung mit einem Appell an Außenminister Genscher: Er dürfe den Export von Urananreicherungsanlagen und Wiederaufarbeitungstechnik nach Brasilien nicht zulassen, weil sie der Herstellung von Atombomben dienen könnten. Heute heißt es im Auswärtigen Amt: „Wir prüfen den ganzen Fragenkomplex.“ Diesmal empören sich einige Abgeordnete, und sie wollen womöglich den Auswärtigen Ausschuß aus dem Sommerurlaub nach Bonn beordern.
Dabei ist fast nichts passiert. Nur dies: In den Unterlagen des Atom-Untersuchungsausschusses wurden Regierungsakten gefunden, die belegen, was die Kritiker der Atomkooperation immer schon behaupteten. Daß nämlich bundesdeutsche Firmen und Ministerien dem südamerikanischen Land bei seiner Atomrüstung behilflich waren. Als Forschungsminister Matthöfer (SPD) 1975 das Abkommen zur kerntechnischen Zusammenarbeit mit Brasilien unterzeichnete, nannte er es einen „Modellfall“ für die friedliche Nutzung der Atomenenergie. Heute spricht der SPD-Abrüstungsexperte Scheer von einem „Verbrechen“, vom Bruch des Atomwaffensperrvertrags.
Mitte der siebziger Jahre galt das Brasilien-Geschäft mit einem damals geschätzten Volumen von zehn Milliarden Mark als bisher größter Exportauftrag der Bundesrepublik. Nach Erkenntnissen im Atomausschuß wurden von den Firmen KWU, STEAG und Interatom bis heute geliefert: Die beiden noch im Bau befindlichen Reaktoren Angra II und Angra III, zwei Urananreicherungsanlagen vom Trenndüsen-Typ sowie die Basisplanung für eine Wiederaufarbeitungsanlage. Die Vermutung, der brasilianischen Regierung gehe es weniger um Strom-Erzeugung als um militärische Ambitionen, begleitete dieses Geschäft von Beginn an. Nach dem Amtsantritt von US -Präsident Carter im November 1976 erwarteten die Bonner Behörden einen neuen Vorstoß der Amerikaner gegen die deutschen Lieferungen. Die Erteilung von Ausfuhrgenemigungen für Anlagen und Know-how stand da unmittelbar bevor - und die Empfehlung von Forschungsministerium und Wirtschaftsministerium war in dieser Situation eindeutig: nämlich „die graue Zone bis zu einer konkreten amerikanischen Initiative optimal zu nutzen, das heißt die Exportgenehmigungen für den gesamten sensitiven Bereich zu erteilen“.
Nach außen verwies die Bundesregierung auf die Kontrollen der brasilianischen Anlagen durch die IAEO. Doch die Kontrollen konnten gar nicht funktionierten, wie das Auswärtige Amt im Juli 1986 intern einräumte: Die Meldungen an die Wiener Agentur über sensitive Lieferungen nach Brasilien erfolgten „in der Regel mit erheblicher Verspätung und häufig erst nach Mahnung durch die IEAO“.
Zur dieser Zeit wurde in Brasilien schon längst für militärische Zwecke an einem autonomen „Parallelprogramm“ gearbeitet, das ohnehin den IAEO-Kontrollen entzogen ist. Den Atomwaffen-Sperrvertrag hat Brasilien wohlweislich nicht unterzeichnet. Der Bundesnachrichtendienst berichtete der Bundesregierung unter dem Datum vom 3. Februar 1987, dieses Parallelprogramm sei „eindeutig auf militärische Zielsetzung ausgerichtet“. Des Geheimdienstes hätte es für diese Erkenntnis nicht bedurft, die Ministerialen brauchten nur die Zeitungen aufzuschlagen. Der Präsident der brasilianischen Atomenergiebehörde, Rex Nazareth Alves, erklärte da: „Brasilien ist in der Lage, den nuklearen Brennstoffkreislauf zu schließen und die Atombombe zu bauen.“ Und der frühere Marineminister Maximiano da Fonseca machte kein Geheimnis daraus, daß der Kauf der zivilen Reaktoren nur ein Zugeständnis beim Deal mit den Deutschen war: „Also, sagte ich mir damals, wenn wir die Dinger kaufen sollen, gut, aber dafür verschaffen die uns die Technologie, die wir wirklich haben wollen.“ Während die brasilianische Option auf die Bombe in den offiziellen Verlautbarungen des Auswärtigen Amts noch heute als Spekulation abgetan wird, konferierten die Ministerialen bereits vor zwei Jahren über ganz konkrete Aspekte: nämlich über die Abwanderung jener brasilianischen Techniker in das militärische Programm, die in der Bundesrepublik in die Geheimnisse der Wiederaufarbeitung eingeweiht worden waren. Im Kommunique einer deutsch-brasilianischen Kommission vom Oktober 1987 wird festgehalten, „die deutsche Seite“ wiederhole diese „Besorgnis“. Das Papier trägt den Vermerk: „Mehr war nicht zu erwarten.“
Obwohl aus der Akte Brasilien in der Rückschau eine Kontinuität der Vertuschung durch die bisherigen Regierungen sichtbar wird, werten SPD-Politiker jetzt ein Ereignis im Sommer 1988 als Einschnitt: Da wurde die staatliche Nuklearindustrie Brasiliens umstrukturiert und die bisherige Anreicherungs-Gesellschaft NUCLEI, in der STEAG und Interatom den technischen Direktor stellten, aufgelöst. Die beiden Firmen hielten in einer internen Analyse vom 4. September 1988 über diesen Schritt Brasiliens fest: „Es war offensichtlich die Absicht der Regierung, das autonome Programm mit dem Indstriekooperationsprogramm Brasilien/Deutschland zu verschmelzen.“ Auch in einer Vorlage des Auswärtigen Amts wird wenige Tage später die Besorgnis geäußert, das von den Bundesdeutschen gelieferte Urananreicherungsverfahren werde in den militärischen Bereich „integriert“.
Würde sich die Bundesregierung an den Atomwaffensperrvertrag halten, hätte sie spätestens zu diesem Zeitpunkt die Atom-Kooperation mit Brasilien abbrechen müssen. Bei einer Besprechung im Wirtsschaftsministerium wurde zwar im November die Frage aufgeworfen, ob Exportgenehmigungen im Bereich Urananreicherung künftig noch erteilt werden könnten, doch auch gleich die Antwort gegeben: die Probleme müßten „außerordentlich behutsam behandelt werden“. Die Angelegenheit wurde zur Chefsache erklärt: Das Eschborner Bundesamt für Wirtschaft muß entsprechende Anträge jetzt nach Bonn schicken.
Vor zwei Jahren forderten die Grünen ohne öffentliche Resonanz, das Regierungsabkommen mit Brasilien zu kündigen. Nun verlangt dies auch die SPD. Im Auswärtigen Amt „prüft“ man also und verweist solange auf die neue brasilianische Verfassung: Denn da stehe doch drin, die Nuklearenergie dürfe nur friedlichen Zwecken dienen.
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