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Something will happen

■ Auch wenn viele der Israel-Pilger es nicht wahrhaben wollen: Mit der Intifada ist im "Heiligen Land" nichts mehr, wie es war.

Auch wenn viele der Israel-Pilger es nicht wahrhaben wollen: Mit der Intifada ist im „Heiligen Land“ nichts mehr, wie es war.

Eine lange Schlange vor dem Check-In am Stuttgarter Flughafen für den Flug nach Tel Aviv. Doch die zahlreich umherstehenden Flughafenpolizisten sind entspannt - keine besonderen Vorkommnisse seit langem auf Flügen nach Israel. Junge Männer und Frauen mit Funksprechgeräten gehen hin und her, halten auf Hebräisch Kontakt mit unsichtbaren Gegenübern irgendwo in Big-Brother-Zentralen. Den Reisenden wird schnell klar, daß es nicht irgendwohin geht. JedeR hat eine ausführliche Befragung zu bestehen, die alle Reisemotive und -pläne genauestens ausforscht, zum Schutz vor Bombenlegern, heißt es. Nach einer Viertelstunde Verhör bin ich entnervt - Bombenleger erkennt man wohl daran, daß sie diese Tortur ohne Nervosität überstehen.

Auch der Flug selbst ist „anders“ - koscheres Essen wird gereicht, vom Rabinat getestet und für gut befunden. Israel

-eine Theokratie? Der Schein trügt, auch wenn die orthodoxen Parteien die rabbinische Lehre gerne zur Staatsverfassung erheben würden. Dennoch sehe ich in den Stewardessen etwas von Priesterinnen in einem fliegenden Tempel, der Pilger und neue Bürger in den Gottesstaat bringt. Der obligate Parfumverkauf reißt mich jedoch aus meinen Phantasien. Dieses Weihwasser gilt einem anderen Kult.

Im Anflug auf die Lichter von Tel Aviv bekomme ich dann eine kleine Ahnung von den Gefühlen, welche Juden empfinden, die sich so ihrem „gelobten Land“ nähern, der verheißungsvollen Insel in einem Meer von Diskriminierung. Doch was empfinden Palästinenser, die hier ankommen? Als ich später einmal einen frage, erklärt er: „Bald wird Palästina wieder uns gehören.“ - „Und die Juden?“ Er zuckt mit der Schulter. „Wenn sie bei uns leben wollen, dürfen sie das. Aber es ist unser Land.“ * * *

Nach dem ersten Tag in Israel habe ich zunächst einmal alles vergessen, was mir diese Reise problematisch gemacht hat die Palästinenserpolitik Israels vor allem und die deutsch -jüdische Geschichte. Mit einem kostspieligen Leihwagen habe ich das Land von den Golan-Höhen bis zum Roten Meer abgefahren, um einen ersten Überblick zu bekommen, ehe ich mich mit den vielgelobten Überlandbussen zu Einzelzielen aufmache. Die halbe Welt ist en miniature an mir vorübergezogen. Menschen fast aller Volksgruppen und Kulturkreise sah ich, Schweizer Chalets neben Beduinenzelten, Milchkühe auf grünen Weiden und Kamele am Straßenrand. Im Rausch der faszinierenden Eindrücke blieb kaum Raum für das andere, welches immer wieder aufblitzte: Bilder der Armut, der Diskriminierung und des Krieges.

Und nun sitze ich am Prachtboulevard von Tel Aviv, in einer vegetarischen Alternativkneipe, und versuche, die ersten Bilder zu sortieren. Eines wird mir dabei sofort klar: Ich bin bereits süchtig nach diesem Land, nach seinen geheimnisvollen, geschichtsmächtigen Landschaften - und vor allem nach seinen Menschen. Die Menschen hier sind von einer atemberaubenden Intensität - Orient und Okzident spiegeln sich oft im gleichen Gesicht, verbinden sich zu den erstaunlichsten Charakteren und gestalten unnachahmliche Bewegungen und Gesten. Vom Bruch in diesem Bild, der Spannung zwischen Israelis und Palästinensern, habe ich heute erst ein kleines Zeichen gesehen. Auf der Autostraße, die über die Engstelle zwischen Westbank und Gazastreifen den Norden und den Süden Israels verbindet, fuhren drei Wasserwerfer - aber das kennen wir ja auch von zu Hause. * * *

„In Tel Aviv wird gelebt, in Haifa gearbeitet und in Jersualem gebetet“ - also bleibe ich erst einmal ein paar Tage in Tel Aviv. Die hebräischen Schriftzeichen an den innerstädtischen Bushaltestellen machen mir einige Probleme. Die Menschen hier sind zwar sehr hilfsbereit, aber es verunsichert mich, daß ich meine Auskünfte - von älteren Leuten - oft in bestem Deutsch bekomme. Deshalb frage ich weniger als notwendig. Meine entsprechenden Irrfahrten bescheren mir jedoch einen tiefen Einblick in die Vielschichtigkeit Tel Avivs. Hinter der monströsen Hotelbauten-Skyline der Strandpromenade finde ich den Verfall, der diese Stadt an allen Enden bedroht. Renoviert wird hier kaum - lieber gleich daneben neu gebaut, dafür gibt es Staatsknete.

Ein älterer Herr, der mich im Bus Notizen machen sieht, spricht mich an. Er hat bis 1936 in Frankfurt gelebt und ist über Singapur schließlich im Hafen von Tel Aviv gelandet. Jetzt fährt er jeden Tag im Bus spazieren. Im Yom-Kippur -Krieg von 1973 hat ihm eine Granate das rechte Bein abgerissen. Er träumt von einem eigenen Auto, aber die Rente reicht nicht. „Unser Geld verbraucht das Militär. Fünf Kriege hatten wir in diesen 40 Jahren Israel! Unser Land ist aus dem Krieg geboten und lebt durch den Krieg. Ich hoffe nur, ich muß nicht erleben, wie es durch einen Krieg wieder ausgelöscht wird.“

Doch in Tel Aviv spüre ich wenig von einer Bedrohung Israels. Auch das Militär ist hier nicht in dem Maße präsent, wie ich das erwartet hätte. Nur am Eingang zum Karmel-markt, wo Araber und Juden sehr eng und zahlreich aufeinandertreffen, steht demonstrativ ein Militärjeep, aus dessen Fenstern einige Schwerbewaffnete die Beine heraushängen lassen. Dies entspricht der üblichen Präsenz des Militärs in Israel: fast spielerisch, harmlos wirkend und selbstverständlich, mit einem gewissen Marlboro-Touch, der übersehen läßt, daß mit den lässig umgehängten Waffen seit Beginn der Intifada 400 Palästinenser getötet wurden. In der Nähe des Jeeps sitzen zwei olivgrün gekleidete junge Frauen, wohlgeschminkt, mit umgehängter MP auf einer Bank. Als ich sie frage, ob sie gerne beim Militär seien, antwortet die eine: „I love my country.“ Dann wenden sie sich ab: „We have to work.“

Der Karmel-Markt mit seinen wunderbaren Falafel-Ständen ist nach den Hamburger-Stationen, die sich in Tel Aviv in Fülle finden, ein Schmaus für Gaumen, Nase, Auge und Ohr. Hier geht der Bazar ab und zeigt das verdrängte orientalische Erbe, ohne das Israel kulturell verarmen würde - trotz der reichlichen Versorgung mit „hoher“, westlich geprägter Kultur. Die israelischen Jugendlichen haben sich längst für die Teilhabe an diesem Erbe entschieden. Denn ihre Stars, Ofra Haza etwa, spielen und singen eine stark arabisch beeinflußte Musik. Im übrigen ist es mit ihrem - religiösen

-Judentum auch nicht viel weiter her als mit dem Islam ihrer palästinensischen Altersgenossen.

Das absolute Muß in Tel Aviv ist ein Strandtag. Die Stadt ist physisch und psychisch völlig vom Meer abhängig. Das Meer ist Freiheit und Kraft. Das kann mensch aber nur morgens vor Arbeitsbeginn und abends nach Büroschluß wirklich erfahren. Dann ist halb Tel Aviv hier am Joggen, Reiten, Strandtennisspielen, Gymnastiktreiben oder sonstwie aktiv. * * *

Der Weg von der über mehrere Hügel verstreuten Neustadt zur Altstadt von Jerusalem führt durch einen Streifen Niemandsland. Vom Krieg 1967 beschädigte Häuser dämmern einer ungewissen Zukunft entgegen. Am Jaffa-Tor lagert eine gemischte Gruppe schwerbewaffneter Jugendlicher. Einer spielt Gitarre. Zwei arabische Jungen, vielleicht zehn Jahre alt, die Ansichtskarten und Kaugummis verkaufen, bleiben stehen. Sie schauen der Gruppe einen kurzen Augenblick schweigend zu. Dann gehen sie mit niedergeschlagenen Augen weiter. Jerusalem ist eben noch nicht Westbank. Dort werden die Augen nicht mehr niedergeschlagen.

Der Billettverkäufer am Zugang zur Stadtmauer von Alt -Jerusalem ist Palästinenser. Bezahlt - schlecht bezahlt, wie er versichert - wird er vom israelischen Staat. Seine Familie lebte in der Nähe von Haifa. Nach der Ausrufung des Staates Israel durch Ben Gurion 1948 sind seine Eltern dann vor israelischen Terroristen nach Jerusalem geflohen. Er will das Haus seiner Eltern zurückhaben - ob von den Israelis oder von den Palästinensern, ist ihm egal. Die Intifada hat ihm neue Hoffnung gegeben, als Palästinenser doch noch Recht zu finden. „Wir sind alle Brüder, und Allah liebt jeden“, ist sein Glaubensbekenntnis - und dabei gießt er mir heißes Wasser über den Schwarzteebeutel in seine Gästetasse, die sicher mehrmals am Tag benutzt wird. „Doch wenn einer dir dein Haus und dein Land raubt, muß du dich doch wehren, oder?“

Als ich ihm von den Kaufhäusern in der BRD erzähle, die 1988 ihr 50. Jubiläum, das Jubiläum der „Übernahme in arische Hände“, feierten, schaut er mich ruhig an: Dann müssen die Juden nach Deutschland gehen und sich holen, was ihnen gehört. Aber dann lacht er und meint, wir müßten eben alle versuchen, miteinander zu leben. „Das Land Palästina ist groß und hat Platz für die Juden und uns - doch die Juden müssen sich wie zivilisierte Menschen benehmen, nicht wie Räuber.“ * * *

Wer nach Einbruch der Dunkelheit durch die Altstadt von Jerusalem streift, findet sich in einem Murnau-Film wieder. Dunkle, hohe Gassen, oft überbaut, ein expressionistischer Traum aus Tausendundeiner Nacht. Der Reiz wäre unbeschreiblich - wüßte mensch nicht, daß seit 18 Monaten in der Altstadt von Jesusalem das Leben stillgestellt ist durch den Kampf der Palästinenser gegen die israelische Besetzung. Die Intifada legt ab zwölf Uhr mittags den offenen Warenverkehr lahm. Bis zum Morgen sind alle Eisengitter heruntergelassen, wird den Israelis und den Touristen demonstriert: Ihr seid in einem Gebiet, das im Kampf steht. Parolen an den Hauswänden und Eisentüren denunzieren Streikbrecher und beschimpfen das israelische Militär. Doch hinter den verschlossenen Türen und oft auch Fensterläden wohnen und leben Menschen, ich weiß nicht wie, voll Wut. Die ganze Altstadt hält seit 18 Monaten den Atem an und muß doch irgendwann explodieren.

Bei einem meiner abendlichen Gänge zurück ins Hotel sehe ich eine der von der Intifada geschlossenen Eisentüren einen Spalt weit offen. Licht fällt heraus. Ich bleibe kurz stehen, da erscheint ein Mann auf der Schwelle, wirft eine Zigarettenkippe auf die Gasse. Er sieht mich, zögert kurz, winkt mich heran. „What are you doing here?“ Er lädt mich zu einem Drink hinter die Eisentür ein. In einem kleinen Gemischtwarenladen sitzen fünf Männer versammelt. Alle bezeichnen sich als Palästinenser. Nur zwei von ihnen sind Moslems, die anderen stellen sich mir als Christen der verschiedensten Konfessionen vor: „Wir sind Palästinenser, keine Heiligen Krieger.“ Ich frage sie, was sie von uns Touristen halten. „Um die Wahrheit zu sagen, wir lieben euch nicht hier, in dieser Zeit. Ihr wollt nur euer Vergnügen, doch unser Volk leidet. Und ihr tragt euer Geld zu den Juden, die uns damit unterdrücken.“ Zur politischen Situation äußern der Gemischtwarenhändler und seine Freunde sich kryptisch: „Something will happen, soon, you will see; things can't go on this way.“ Doch ich müsse mir keine Sorgen machen, den Touristen geschehe nichts. „Wir sind Menschen, die besten Menschen auf der Welt, und deshalb wird Gott uns helfen.“

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