: Andreottis Traum vom Staatschef
Andreotti wird zum sechsten Mal Ministerpräsident / Er hat aber Größeres im Sinn: Das Amt des Staatspräsidenten soll seine Karriere krönen / Die Kommunisten sind diesmal im „Schattenkabinett“ ■ Aus Rom Werner Raith
Er hat es wieder mal geschafft: Giulio Andreotti, der „Beelzebub der italienischen Politik“, Italiens umstrittenster Politiker, wird zum sechsten Mal Ministerpräsident. Das ist zwar nicht so oft wie sein einstiger Mentor De Gasperi - er kam auf acht Mal -, aber immerhin schon öfter als Aldo Moro und ebenso oft wie Amintore Fanfani, die beiden anderen Stars der italienischen Nachkriegsgeschichte.
Insgesamt 24 Untersuchungsausschüsse, in denen er sich unangenehme Vorhaltungen gefallen lassen mußte, hat der Unverwüstliche überstanden, allesamt knapp und mitunter nur mit Hilfe der ihm wegen seiner auf Autonomie zielenden Außenpolitik seit jeher in Haßliebe verbundenen Kommunisten. Mit Ausnahme des Lockheed-Skandals hat er kaum eine bedeutende Affäre ausgelassen, vom ersten großen Bankenkollaps 1957 über allerlei mafiose Kungeleien bis zur Kumpanei mit den Dunkelmännern der kriminellen Geheimloge „Propaganda2“ - sodaß er selbst schon mal in seinem wöchentlich in 'L'Europeo‘ veröffentlichtem Tagebuch notierte: „Immer wenn irgendwas Schlimmes passiert, deuten alle auf mich.“
Möglicherweise sind es seine von den Karikaturisten geschätzten leicht drakulahaften Ohren, die ihm den Ruf eines Alleshörers und damit für alles Mitverantwortlichen eingebracht haben. Mit Hans-Dietrich Genscher verbindet ihn jedenfalls eine enge Freundschaft: „Alles Gute, Giulio Andreotti“, bejubelte ihn sein deutscher Amtskollege in 'La Repubblica‘ dieses Früh jahr anläßlich seines 70.Geburts tags.
Sein Amt tritt Andreotti wieder einmal mit einem Minimalprogramm an - das die Grünen im Parlament zurecht als „Nichtprogramm“ bezeichnen. In Wirklichkeit ist es eine Verschiebung nahezu aller wichtigen Entscheidungen, von der Reform des Gesundheitswesens bis zur Sanierung der Staatsfinanzen, vom Umweltschutz bis zur Stationierung der F -16-Bomber. Dafür aber haben die fünf alt-neuen Koalitionspartner Christ- und Sozialdemokraten, Sozialisten, Liberale und Republikaner verkündet, Andreotti solle, dürfe und werde bis 1992, bis zum regulären Ende der Legislaturperiode, regieren.
Daran glaubt aber keiner - es ist schon der erste Trick des Trickreichen. Denn Andreotti zielt mit der Übernahme des Kabinetts von seinem parteiinternen Gegner Ciriaco De Mita auf ein noch höheres Amt: Er möchte zu gerne seine fast 50jährige Karriere mit der Wahl zum Staatspräsidenten krönen. 1978 kam ihm sein feindseliges Verhalten gegen den von den Roten Brigaden entführten Aldo Moro dazwischen, 1985 der Schlußbericht der „Propaganda-2„-Kommission. Diesmal hofft er sich mit dem Amt des Regierungschefs ein Faustpfand verschafft zu haben, das er sich kommendes Jahr nur gegen die Zusicherung einer Wahl zum Staatsoberhaupt abkaufen lassen wird.
Anders als seine beiden Vorgänger Pertini und Cossiga wird er allerdings nicht auf die Kommunisten zählen können: Seit sie nach der Wende des Kongresses vom Februar auf harten Konfrontationskurs gegangen sind, werden auch alte Weggefährten (Andreotti leitete 1978 das einzige vom historischen Kompromiß aus DC und PCI getragene Kabinett) nicht mehr ausgespart. Und noch bevor Andreotti am Samstag dem Staatspräsidenten seine Ministerliste vorgelegt hat, war im Parteihauptquartier der PCI in Rom bereits eine neue repräsentative Runde am Werk: das „Schattenkabinett“.
Keine leichte Aufgabe allerdings besonders für den künftigen Andreotti-Antagonisten Occhetto, speziell weil dieser bisher eher durch schnauzbärtigen Griesgram aufgefallen ist und mit Andreottis Ironie seine Mühe haben dürfte. Doch indiskrete Stimmen behaupten, daß sich Occhetto mittlerweile vom parteieigenen Satiremagazin 'Cuore‘ einen Schnellkurs in witzigen Antworten verpassen läßt.
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