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Der Wind steht Richtung Brunsbüttel

Nach einem Sturm sind auf dem holländischen Giftfrachter „Oostzee“ Fässer leckgeschlagen / Brühe steht fünf Zentimeter hoch im Schiff / Heute soll die Luke geöffnet und das Gas abgelassen werden / Greenpeace fürchtet eine „Wasserstoffexplosion“  ■  Von Sonia Shinde

Brunsbüttel (taz) - Die Zeitbombe im Elbehafen Brunsbüttel tickt weiter, auch wenn Sonntag nachmittag mehr als 200 Segelschiffe dem Elbehafen im Rahmen der „Sail 89“ das Bild alter Seefahrerromantik aufdrücken. Die Zeitbombe tickt an Bord der „Oostzee“. Nach fast fünf Stunden Fahrt auf der Elbe tauchte das Schiff am Sonnabend, gezogen von drei Schleppern, im Nachmittagsdunst vor Brunsbüttel auf.

Nach einem mißlungenen Startversuch in den frühen Morgenstunden konnte die achtköpfige holländische Bergungscrew erst um 7.10 Uhr mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 2,5Knoten gegen die Tiede die Kugelbaake vor Cuxhaven passieren.

Vor Ort war mittlerweile die Greenpeace-Mannschaft um Chemiker Dr.Klaus Lanz seit fünf Uhr morgens in Alarmbereitschaft. „Wir wollen keinen Ärger machen, aber ich bin nicht sicher, ob die Verantwortlichen hier die Gefährlichkeit der Situation richtig einschätzen“, betonte Lanz gegenüber der taz. Mittlerweile steht fest, daß der Schaden an Bord größer it als angenommen Nicht nur Teile des Laderaums, sondern auch die Mannschaftsunterkünfte schwimmen gut fünf Zentimeter tief in einer Flüssigkeitsmischung schlimmstenfalls aus Wasser und Epichlorhydrin. „Da müssen ganze Zwischenwände zusammengebrochen sein“, mutmaßte Greenpeacer Dave Greenway aus England am Sonnabend kurz vor der Ankuft des Schiffes.

„Bringen Sie ihre Segel hart nach Steuerbord oder Backbord, jetzt aber 'n bißchen dalli!“ Hafenkapitän Horst Dietze ist der nervlichen Anspannung kaum noch gewachsen und pflaumt die auf der Elbe vor Brunsbüttel herumkreuzenden Segler unwirsch an, als die „Oostzee“ gegen 13Uhr am Kai festmacht.

Mindestens eine Woche wird es nach Ansicht der Experten dauern, bis das 3601-BRT-Schiff mit seinen 4.000 250-Liter -Fässern Epichlorhydrin dekontaminiert werden kann. „Bis fünf Uhr Montag morgen ist das Schiff hier raus“, tobte der Dithmarscher Landrat Hans-Jacob Tiessen bei Bekanntwerden der Situation. Auch Bürgermeister Ernst Tange will den Giftfrachter so schnell wie möglich los werden. Wenn das nur so einfach wäre. Eine Weiterfahrt des holländischen Giftfrachters über die Elbe ist ausgeschlossen, die Explosionsgefahr zu groß. Die Experten von der Herstellerfirma der Giftbrühe, Dow in Stade, sind ratlos.

Nach einer hafenpolizeilichen Verfügung muß die Reederei alle Kosten der Hilfeleistung und Entseuchung vorerst übernehmen. Giftmischer Dow Chemical wird für sein Produkt haftbar gemacht. Die Meßwerte sind weiterhin ungenau. „Wenn das Epichlorhydrin mit Wasser in Berührung kommt und den hochreaktiven Zinkbarren, auf denen die Fässer gelagert sind, gibt's 'ne herrliche Wasserstoffexplosion“, erklärte Greenpeace-Leiter Lanz der taz. Die Lebewesen in der Deutschen Bucht wären dann tot. „Wasserstoff ist bisher noch nicht gefunden worden“, erklärte der Leiter der Wasserschutzpolizei in Brunsbüttel, Renke Lody, gestern gegenüber der taz. Und die Zeitbombe tickt weiter, die Gefahr einer Wasserstoffexplosion wird immer größer, solange noch keine verlässlichen Meßwerte über die Wasserstoffkonzentration vorliegen. Das Zwischendeck ist noch gasfrei. „Wir wollen jetzt versuchen, die Atmosphäre durch Lüftungsmaßnahmen mit Aktiv-Kohlefiltern zu entgiften“, so Lody weiter. „Etwas Gas wird natürlich dabei auch austreten, wir hoffen aber, daß die Bevölkerung dabei nicht gefährdet wird.“

Der Wind steht momentan genau Richtung Brunsbüttel. Nach einer Entscheidung der Landesregierung soll die „Oostzee“ heute morgen aus dem Elbehafen auf die Reede in der Elbe geschleppt werden, nur vier Kilometer von bewohntem Gebiet entfernt. Vorher jedoch werden auf der Elbe die Luken geöffnet und das Gas in die Atmosphäre entlassen - möglichst weit weg von bewohntem Gebiet. Für Greenpeace eine unhaltbare Situation. „In einer Woche baut sich die Gas -Konzentration nur auf etwa 50 Prozent ab“, kritisierte Greenpeace-Chemiker Klaus Lanz am Sonntag nachmittag nach der letzten Konferenz. Sein Vorschlag, die Explosionsgefahr und die Toxizität der Gasatmosphäre im Schiff herabzusetzen: „Die Atmosphäre im Schiff müßte inertiniert, also zum Stillstand gebracht werden.“ Ein Verfahren, das auch bei Tankerunfällen angewendet wird. „Angeblich haben die hier aber keine Möglichkeit dazu“, so Lanz gegenüber der taz. Bleibt also nur die Entlüftung auf der Elbe.

Erst wenn die Konzentration auf gut drei ppm abgesunken ist, soll das Schiff wieder in den Elbehafen vor Brunsbüttel geschleppt werden. Nach Messungen von Sonntag morgen liegt die Giftgas-Konzentration im Schiffsinnern zur Zeit zwischen 100 und 160 ppm.

Weichen muß die „Oostzee“ allerdings noch aus einem anderen Grund: Morgen früh wird ein anderes Schiff im Elbehafen von Brunsbüttel erwartet: die „Corvette“, vollgepackt mit plutoniumhaltigen Brennelementen.

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