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„Ketzerin“ verläßt die evangelische Kirche

Das kirchliche Disziplinarverfahren gegen die feministische Theologin Elga Sorge endet mit Vergleich / Für ihr freiwilliges Ausscheiden aus dem Kirchendienst erhält sie eine zehnjährige Abfindung / Ihr wurde mangelnde Bekenntnistreue zur Kirchenlehre vorgeworfen  ■  Von Helga Lukoschat

Berlin (taz) - Mit vehementer Radikalität hat die feministische Theologin Elga Sorge in den vergangenen Jahren gegen das patriarchalische Bild eines „Vater-Gottes“ opponiert. Der erkläre Menschen pausenlos zu Sündern und Sünderinnen, jage ihnen Angst und Schrecken ein und verlange von Frauen, sich den Männern zu unterwerfen. Dagegen bietet Elga Sorge eine Religion der „Liebe, Heilung, Erlösung“ auf, die auf die Kraft der Erotik und Ekstase setzt. Weil sie das Glaubensbekenntnis der „Evangelischen“ für extrem reformbedürftig hält, formulierte sie die Zehn Gebote in zehn „Erlaubnisse“ um. Den Kirchenoberen war das öffentliche Auftreten und die Popularität der „rebellischen Tochter Gottes“ schon lange nicht mehr geheuer. Dienstherr Bischof Hans-Gernot Jung strengte ein Disziplinarverfahren an.

Nun ist die evangelische Kirche diese Sorge losgeworden: Vor dem Disziplinargericht in Kassel stimmte die Theologin einem Vergleich mit der evangelischen Kirche von Kurhessen -Waldeck zu. Dafür, daß Elga Sorge freiwillig ihren Dienst quittieren wird, erhält sie zehn Jahre lang Unterhalt von der Landeskirche. Drei Jahre lang bekommt sie ihre vollen Bezüge aus ihrer Lehrtätigkeit an der Gesamthochschule Kassel, für weitere sieben Jahre werden die Bezüge um ein Viertel gekürzt.

„Das war ein Ketzerprozeß, wie es ihn seit 400 Jahren nicht mehr gegen eine Frau gegeben hat“, empörte sich Elga Sorge über das bislang einmalige Verfahren. Ihr wurden diverse „Amtsplichtverletzungen“ vorgeworfen, der gewichtigste „Anklagepunkt“ unterstellte ihr, den Boden des evangelischen Bekenntnisses verlassen zu haben. Doch dieser Punkt kam vor dem Disziplinargericht, das sich aus drei Laienrichtern, einem Kirchenbemanten und einem Theologen zusammensetzte, nicht mehr zur Sprache. „Mir wurde sofort der Vergleich angeboten“, sagt Elga Sorge, die über ihre Zustimmung noch mit sich selbst ins reine kommen muß. „Schriftlich“ habe sie jedenfalls noch nicht zugesagt. Besonders ärgert sie, daß sich die Kirche noch als „großzügig“ darstellen könnte. Dabei seien ihr alle Möglichkeiten kirchlicher Arbeit genommen worden, ihre Berufsaussichten und zuletzt ihr Beamtinnenstatus.

Der Streit mit ihrem Dienstherrn, Bischof Hans-Gernot Jung begann vor rund zwei Jahren. 1987 kündigte Jung Elga Sorge ihre Stelle an der GH Kassel, verdonnerte sie zum Katalogisieren von kirchlicher Literatur und leitete ein Disziplinarverfahren gegen sie ein. Unmittelbarer Stein des Anstoßes war ein Auftritt Elga Sorges in der NDR-Talkshow, in der sie freimütig erzählte, daß sie sich noch am Abend des Hochzeitstages in einen anderen Mann verliebt hätte. Ein halbes Jahre später war die Ehe geschieden worden. Für die Kirchenoberen hat Elga Sorge mit ihrem öffentlichen Auftritt eher „Werbung“ als „Warnung“ vor dem Ehebruch betrieben. Tatsächlich hatte Elga Sorge in ihrer Neuformulierung der zehn Gebote geschrieben: „Du darfst ehebrechen, du kannst ja nicht anders. (...) Aber natürlich darfst du auch treu sein.“ Das Diszipilinargericht wies die Vorwürfe zum persönlichen Lebenswandel allerdings als nicht strafwürdig zurück. Auch in dem Punkt der „Bekenntnistreue“ hätte das Gericht sich auf juristischem Glatteis bewegt: Disziplinarverfahren haben Verletzungen der Amtspflicht zu ahnden. Nach Paragraph 2 Absatz 2 des Diziplinargesetzes der EKD fallen Fragen des Bekenntnisses nicht darunter.

Geradezu grotesk nahm sich aus, daß die die Kirchenleitung das „Haus der Kirche“, in dem das Verfahren am Wochende stattfand, mit einem großen Polizeiaufgebot „schützen“ ließ. Die rund 50 FreundInnen und UnterstützerInnen, die zum „Hexenprozeß“ - so der Aufruf einer Kasseler Frauengruppe erschienen waren, kamen ganz harmlos mit roten Rosen. Darüber kann sich sich Elga Sorge nun doch amüsieren: „Wir haben die Rosen an die Polizisten verschenkt und sie dann alle bekehrt.“

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