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„Leichtsinn“ mit dem Giftfrachter

■ Greenpeace und Kieler Professor Wassermann halten Situation auf der „Ostzee“ für „sehr kritisch“

Die Entsorgung des holländischen Frachters „Oostzee“, der mit mindestens 120 demolierten Fässern der hochgiftigen Chemikalie Epichlorhydrin seit Tagen in der Elbmündung liegt, gestaltet sich äußerst langwierig und schwierig. Der Geschäftsführer der Hamburger Bergungsfirma Harms, Klaus Herz, schätzte gestern, daß die Löschung der Ladung noch etwa zwei Wochen dauern wird. Den Unfall stufte Herz als „schwer“ ein.

Als „weitaus kritischer als angenommen“ hat inzwischen auch „Greenpeace“ die Situation an Bord bezeichnet. „Zugespielte Informationen“ belegten, so Greenpeace, daß weiterhin Epichlorhydrin aus hunderten von beschädigten Fässern im Unter-und Zwischendeck nachfließe und sich in den Laderäumen sammele. Es werde Wochen dauern, bis diese Flüssigkeit verdunste. Erhebliche Mengen Gift würden noch in die Atmosphäre abgegeben. „Der Giftfrachter, der hier vor Anker liegt, erfordert eine Sondermüllentsorgung von nie gekanntem Ausmaß. Der Umfang der Probleme wird bisher von den Verantwortlichen ignoriert“, erklärte Greenpeace-Chemiker Klaus Lanz.

Die „Oostzee“ war von Rotterdam nach Leningrad unterwegs und vor einer Woche von den deutschen Behörden in Cuxhaven

an der Weiterfahrt gehindert worden. Die 14 Besatzungsmitglieder mußten für mehrere Tage in Krankenhäusern beobachtet werden. Sie sind wohlauf.

Scharfe Kritik am Verhalten von Behörden und Unternehmen hat am Dienstag der Kieler Toxikologe Prof. Otmar Wassermann geübt. Es sei wegen der Gefahren für die Bevölkerung ein gefährlicher Leichtsinn, die defekten Fässer im Elbehafen Brunsbüttel entsorgen zu wollen. Dorthin sollte das Schiff möglicherweise noch am Dienstag geschleppt werden.

Der Einsatz einer mit Chemieunfällen „völlig unerfahrenen“ Bergungsfirma sei „hochgradige Menschenverachtung“, meinte Wassermann. Er forderte mit Nachdruck, daß ein Spezialtrupp der chemischen Industrie die giftigen, brennbaren und explosiven Stoffe auf Neufeld-Reede in der Elbmündung umlädt.

Die Beschäftigten des Bergungsunternehmens sind nach seiner Ansicht für den Einsatz gegen hochtoxische Chemikalien nicht ausgebildet und deshalb fachlich nicht geeignet. „Die Firma macht irrsinniges Geld, und die Menschen werden verheizt“, meinte Wassermann. Ein Zurückschleppen des Frachters in den Elbehafen sei wegen der unübersichtlichen Lage der beschädigten Ladung nicht vertretbar. Der Kieler

Wissenschaftler gab den „dringenden Rat“, weit vor der Küste ein Spezialschiff und einen qualifizierten Entsorgungstrupp der Chemie einzusetzen. „Die den Dreck hergestellt haben, die sollen ihn auch entsorgen“, sagte Wassermann.

Unter Berufung auf Greenpeace-Angaben äußerte er den Verdacht, daß „die Gefahr der Fälschung von Meßdaten“ besteht. Es sei zu befürchten, daß korrekte Werte „im Behördendschungel einfach unter den Teppich gekehrt“ werden sollen. Außerdem verwies der Wissenschaftler auf Informationen, nach denen der Konzern Dow Chemical die Herausgabe der Sicherheitsblätter mit genauen Angaben über die Gefährlichkeit der Ladung verweigert habe.

16 Bergungsexperten der Firma arbeiteten auf der Neufeld Reede, wenige Kilometer vom Hafen Brunsbüttel entfernt, schichtweise rund um die Uhr. An Bord des Schiffes befand sich auch am gestern mittag immer noch ein Sechs-Mann-Team mit Bergungsleiter und zwei Chemikern. „Mit ihren schweren Atemschutzgeräten können die Leute aber nicht länger als 20 Minuten arbeiten, dann sind sie erschöpft“, sagte Herz. Anschließend ruhten sich die Arbeiter drei bis vier Stunden aus.

Bislang war nach diesen Angaben gestern mittag erst das Zwischendeck des Laderaums gasfrei. Im Unterraum dagegen lagen die Werte noch bei 40 ppm (pars per million) des giftigen Gasgemisches. Erreicht werden muß jedoch ein Wert von 3 ppm. Die 120 demolierten Fässer, die nicht alle ausgelaufen sein sollen, beziehen sich nach den Worten von Herz nur auf das Zwischendeck. Bisher seien mehr als 2.000 Liter eines Gemisches von Epichlorhydrin und Wasser abgepumpt worden.

Die „Oostzee“ soll zur Löschung des Zwischendecks in den Hafen Brunsbüttel zurückfahren. Dort sollen die demolierten Fässer behutsam in Überfässer gesteckt werden. Der Hersteller des Giftes, Dow Chemical (Stade), steht nach den Angaben von Herz mit fünf Waggons für jeweils 50

Fässer bereit, die zum Werk in Stade gebracht werden sollen.

Nach der Löschung des Zwischendecks muß der Frachter nach Aussage des Harms-Geschäftsführers erneut zur Neufeld Reede zurückgeschleppt werden, um dort den Unterraum zu entgasen, der wiederum anschließend gelöscht werden muß. Die Kosten der Bergungsaktion, die die holländische Reederei KNSM -Kroohnsburg übernehmen muß, wird von Herz auf „mehrere hunderttausend Mark“ geschätzt.

Die umweltpolitische Sprecherin der Grünen im niedersächsischen Landtag, Marion Schole, hat unterdessen ein Produktionsverbot und Vermeidungsgebote für alle derartigen Giftstoffe gefordert. Nur auf diese Weise lasse sich das Problem des Gifttransports lösen. Mit mehr Sicherheitsmaßnahmen allein könne man den Transport hochgiftiger Stoffe auf der Elbe nicht in den Griff bekommen.

dpa

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