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Auf der falschen Bühne

■ Die Geheimgespräche zwischen SPD und Grünen

Es ist schon bemerkenswert. Im Mittelpunkt des diesjährigen Bonner Sommertheaters steht die Einübung des Bundestagswahlkampfs 1990. Eineinhalb Jahre vor der Wahl, haben sich SPD und Grüne dazu entschlossen, die nichtöffentlichen Proben für ein Stück aufzunehmen, das erst ab Frühjahr 1990 als Gastspielreise durch die Republik ziehen soll. Rot-grüne Koalition lautet der Arbeitstitel. Bisher gibt es weder Drehbuch noch Regisseur. Ob das Stück fertig wird, beim Publikum ankommt, ein Drama dabei herauskommt, ein Lehrstück oder gar eine Komödie, all das steht in den Sternen. Die Proben sollen Klarheit bringen. Was Avantgarde-Theater im besten Sinne werden könnte, eignet sich aber noch lange nicht als Realitätsersatz. Anders ausgedrückt: Die Wirklichkeit sollte nicht mit einer Theaterbühne verwechselt werden.

In neun Gesprächsrunden wollen Sozialdemokraten und grüne Realos die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit auf Bundesebene sondieren. Die ganze Themenpalette, von Außenpolitik bis zum ökologischen Umbau der Industriegesellschaft, steht auf dem Programm. Was politische Gegner als „geheime Koalitionsverhandlungen“ (Lambsdorff) zwischen SPD und Grünen kennzeichnen, wird von den Teilnehmern selbst als reine Vorsichtsmaßnahme interpretiert. Unvorbereitet und überstürzt wie in Berlin wollen beide Partner nicht noch einmal in eine Zusammenarbeit geraten. O-Ton Karsten Voigt: „Das wäre nicht zu verkraften.“ Diesmal wollen Rot und Grün gewappnet sein, wenn die Wähler einmal mehr verrückt spielen.

Die VertreterInnen von SPD und Grünen gehen unterschiedlich legitimiert in diese Gespräche. Während die Sozialdemokraten zumindest die Rückendeckung der eigenen Parteiführung mitbringen, sehen sich die grünen Realos, kaum werden die Gespräche ruchbar, jeglicher Legitimität beraubt. Im Fall des Falles, so der Bundesvorstand der Ökopax-Partei, würden solche Gespräche von den gewählten Gremien „und nicht von selbsternannten Unterhändlern“ geführt.

Problematischer als der altbekannte Zwist bei den Grünen ist die gesamte Anlage der Diskussion eines solchen, möglichen rot-grünen Bündnisses für die Zeit nach der Bundestagswahl. Die Debatte wird von vornherein verkürzt auf die mögliche Zusammenarbeit der beiden Parteien und ihrer jeweiligen Milieus. Im Mittelpunkt stehen nicht Antworten auf die Frage, wie und vor allem auch wofür gesellschaftliche Mehrheiten von SPD und Grünen zu gewinnen sind, sondern wie die Partner in spe im Fall des Falles miteinander klarkommen können. Während die Gesellschaft, die Wähler und Wählerinnen vor den Parteien reißaus nehmen, tragen diese lediglich im Parteienklüngel angehäufte Altlasten ab.

Dabei sind die Ausgangsbedingungen für eine rot-grüne gesellschaftliche Mehrheit so günstig wie selten zuvor. Die gegenwärtige Regierung findet keine politische Antwort auf Gorbatschow und die Reformen in Ost- und Mitteleuropa. So unbelastet wie nie in der bisherigen Geschichte der Bundesrepublik könnte darüber öffentlich debattiert werden. Weder SPD noch Grüne müssen sich wegen vergangener Sünden verrenken. Zur Zukunft Europas in der Post-Nachkriegszeit haben beide Parteien bisher nichts Konzeptionelles beigetragen. Sie sind unbelastet von Parteibeschlüssen, die zu unüberwindbaren Barrieren werden könnten. Denn die Entwicklung in Osteuropa hat SPD und Grüne überrollt. Den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft haben inzwischen beide zum Programm erhoben und der Streit über die Geschwindigkeit, mit der er erfolgen soll, kann kaum zum prinzipiellen Hindernis werden. Auf das Problem der Massenarbeitslosigkeit haben beide Parteien keine wirkliche Antwort, ist eine sozial abgefederte Politik des Experimentierens wahrscheinlich.

Im Zentrum aller Überlegungen müßte also die Frage stehen, wie eine gesellschaftliche Mehrheit für ein rot-grünes Projekt zu gewinnen ist. Das Abtragen von Altlasten zwischen beiden Parteien, auch die Form von „Geheimgesprächen“, sind in einer solchen politischen Situation untaugliche Mittel gegen Überraschungen, wie das Berliner Wahlergebnis. Das Problem in Berlin war und ist auch heute nicht die Frage, wie die Parteien SPD und AL miteinander klarkommen, sondern wie sie in der Stadt eine gesellschaftliche Mehrheit für Rot -Grün gewinnen. Schenkt man letzten Umfragen Glauben, wünschen sich 28 Prozent der Bevölkerung in der Stadt einen rot-grünen Senat. Für Reformen, die diesen Namen verdienen, braucht jede Regierung das Doppelte - nicht nur in Berlin, sondern erst recht in Bonn.

Max Thomas Mehr

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