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Notausgang Europa

■ Nach La Hague jetzt der Vertrag mit Sellafield: Die Atomgemeinde hat sich ihren Entsorgungsnachweis beschafft

Nach dem Abschied von Wackersdorf zieht die Atomgemeinde die europäische Karte. Von 1999 an werden in weit größerem Umfang als bisher die Brennelemente aus bundesdeutschen Atommeilern in die größte und dreckigste Atomanlage der Welt zur Wiederaufarbeitung gekarrt: Sellafield an der britischen Westküste, neben La Hague künftig die zweite „deutsche“ WAA. Die Zusammenarbeit soll durch völkerrechtliche Verträge abgesichert werden, damit auch Rot-Grün an die Atomkooperation gebunden wäre.

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BNFL, der Betreiber von Sellafield, hat zwar einen Dumping -Preis geboten, der noch um rund 20 Prozent niedriger liegt als das Angebot des französischen Unternehmens COGEMA, das die Wiederaufbereitungsanlage in La Hague betreibt.

Doch dafür wollen die Briten für die nächsten 15 Jahre ein jährliches Auftragsvolumen von 250 Tonnen Brennelementen zugesichert bekommen. Dies wäre etwa die Hälfte des Materials, das in bundesdeutschen Kernkraftwerken pro Jahr zur Wiederaufarbeitung anfällt.

Die Crux: In ihrem „Memorandum of understandig“ hatte die VEBA wiederum der französischen COGEMA bereits versprochen, daß ihre Anlage La Hague mindestens 400 Tonnen Stoff aus der BRD pro Jahr bekommen würde. Um also von den Dumping -Angeboten auf beiden Seiten profitieren zu können, reicht die Menge der abgebrannten Brennelemente aus der Bundesrepublik schlicht nicht aus.

Die Briten wollen sich allerdings vorerst noch nicht damit abfinden, nur ein kleines Stück vom deutschen Wiederaufarbeitungs-Kuchen zu bekommen. Der stellvertretende britische Energieminister Michael Spicer nannte gestern in Bonn noch einmal die Wunsch-Summe des Auftrags: rund sechs Milliarden Mark. Was Spicer nicht sagte: Dieser Auftrag könnte das Überleben der WAA Sellafield sichern, nachdem die Anlage in Großbritanien aus ökologischen und ökonomischen Gründen heftig umstritten ist. Pressemeldungen zufolge würden die britischen Betreiber der künftigen Generation von Leichtwasser-Reaktoren, ihre Brennelemente am liebsten gar nicht in Sellafield aufarbeiten lassen. Auch wird bereits gemutmaßt, wegen der mangelnden Lagerkapazitäten in Sellafield müßten britische Kernkraftwerke ab 1993 stillgelegt werden.

Spicer warf sich gegen diesen Rufmord in die Bresche: „Sellafield steht weltweit sehr gut da.“

Umweltminister Töpfer wiederum umschiffte mit allgemeinen Formulierungen die Tatsache, daß sich die Verhandlungen schwierig gestalten: Es sei nicht Sache der Regierungen, sondern der Unternehmen, wie sie die Möglichkeiten in Großbritannien einerseits und Frankreich andererseits nutzen würden.

Daß durch die britische Anlage Menschen und Umwelt radioaktiv verseucht werden, ist für den bundesdeutschen Umweltminister schon gar kein Thema. Denn: Die jetzt zur Debatte stehenden Verträge beziehen sich auf eine neue WAA technisches Kürzel „THORP“ -, die noch im Bau ist. Und die THORP-Anlage, so versicherte Töpfer gestern, „hat mit Sellafield nichts zu tun, es ist nur der gleiche Standort“. Und der gleiche Betreiber, bleibt hinzuzufügen.

Glaubt man dem Papier der Regierungsvereinbarung, dann wird bei THORP alles anders als bei Sellafield: „Die höchsten Standards in bezug auf Sicherheit und Umweltschutz“ sollen dort „zur Anwendung kommen“. Das Versprechen ist allerdings wenig glaubwürdig: Denn im gleichen Atemzug erteilte Töpfer auch der bisherigen Skandalgeschichte von Sellafield die Absolution: Beide Länder hätten nämlich schon jetzt dieselben Sicherheitsstandards und „gut eingeführte nationale Aufsichtssysteme“.

Daß die Verhältnisse in Sellafield von bundesdeutscher Seite längst akzeptiert worden sind, beweist auch eine andere Tatsache: In der Anlage sind bis jetzt bereits 117 Tonnen abgebrannter deutscher Brennelemente zwischengelagert. Sie konnten nur noch nicht aufgebarbeitet werden, weil die bisherige Anlage für diese oxid-haltigen Brennelemente nicht geeignet war. Und über insgesamt 800 Tonnen wurden schon in der Vergangenheit Verträge mit bundesdeutschen Betreibern geschlossen.

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